Berlin und Paris wollen Grenzkontrollen einführen dürfen

Brüssel (dpa) - Der Streit in der Europäischen Union um die mögliche Wiedereinführung zeitlich befristeter Grenzkontrollen im Schengen-Raum wird heftiger.

Die Innenminister Deutschlands und Frankreichs, Hans-Peter Friedrich (CSU) und Claude Guéant, forderten in einem gemeinsamen Brief, dass die Regierungen in der eigentlich kontrollfreien Schengenzone in Ausnahmefällen die Binnen-Grenzkontrollen für bis zu 30 Tage wieder einführen dürfen.

Dies ist schon bisher bei einer „schwerwiegenden Bedrohung“ möglich. Friedrich und Guéant möchten dies explizit auch dann erlauben, wenn ein Schengen-Land beispielsweise seine Außengrenzen nicht ordentlich sichert und illegale Flüchtlinge in den Schengen-Raum gelangen und an den nationalen Grenzen abgewehrt werden sollen. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) betonte, dass an der Reisefreiheit im Schengen-Raum grundsätzlich nicht gerüttelt werde.

Die EU debattiert seit dem Sommer über neue Regeln für Kontrollen. Auslöser war die Wiedereinführung französischer Kontrollen an der Grenze zu Italien. Paris meinte, die italienischen Behörden hätten den Zustrom nordafrikanischer Flüchtlinge nicht im Griff. Der Vorschlag aus Berlin und Paris soll nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ am Donnerstag bei einem Treffen der EU-Innenminister beraten werden. Eine Entscheidung dürfte aber frühestens im Juni fallen, sagte ein Vertreter der dänischen Ratspräsidentschaft der Zeitung.

Ein Sprecher der EU-Kommission sagte am Freitag, die Kommission halte an ihren seit September 2011 vorliegenden Vorschlägen fest, die Reisefreiheit für rund 400 Millionen Europäer zu sichern. „Wir wollen mehr Europa in Schengen“, sagte der Sprecher. „Und deswegen versuchen wir auch, einen europäischen Entscheidungsmechanismus zu schaffen.“ Bisher entscheiden die Regierungen im Schengen-Raum.

Die EU-Kommission hatte im September vorgeschlagen, dass künftig in „unvorhergesehenen Notfällen“ die Grenzkontrollen für maximal fünf Tage wieder eingeführt werden dürfen. Eine Verlängerung dieser Frist wäre nur noch durch Beschluss des Ministerrates mit qualifizierter Mehrheit möglich. Die zeitweilige Wiedereinführung von Kontrollen bei vorhersehbaren Ereignissen - beispielsweise Sportveranstaltungen - soll nur auf Vorschlag der EU-Kommission möglich sein.

Die Innenminister Friedrich und Guéant schreiben in ihrem Brief an die dänische EU-Ratspräsidentschaft, es gebe bislang kaum Möglichkeiten, um zu reagieren, wenn die Standards für den Schutz der Außengrenzen nicht eingehalten würden. Sie fordern Änderungen. „Hierzu gehört auch - als ultima ratio und für einen begrenzten Zeitraum - die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen.“

Friedrich und Guéant kritisierten, dass die Kommission mit ihren Vorschlägen „die Entscheidungshoheit an sich zu ziehen“ versuche. Eine Änderung des „Schengen-Kodex“, in dem die Rechte der Regierungen zur Wiedereinführung von Kontrollen festgelegt sind, werde von Berlin und Paris abgelehnt. Der Kommissionssprecher nahm vor Journalisten zur Frage, ob die Kommission den Vorstoß als Teil des französischen Präsidentschaftswahlkampfes betrachte, nicht Stellung.

In Frankreich wurde der Brief als mögliches Wahlkampfmanöver der konservativ-rechten Regierung gewertet. Der um eine zweite Amtszeit kämpfende Präsident Nicolas Sarkozy hatte mit dem Thema illegale Einwanderung offensiv um Stimmen geworben. Er forderte wiederholt eine Überarbeitung des Schengen-Abkommens und drohte damit, es einseitig auszusetzen. Wenn es in den nächsten zwölf Monaten keine deutlichen Fortschritte bei der Bekämpfung der illegalen Migration gebe, werde er Frankreichs Teilnahme am Abkommen bis auf weiteres ruhen lassen, sagte Sarkozy bei einem seiner Kampagnenauftritte.

Aus dem Umfeld Westerwelles hieß es am Freitag, der Außenminister sei alles andere als glücklich über das Timing des Briefes von Friedrich und Guéant wenige Tage vor dem französischen Präsidentschaftswahlen. Westerwelle hatte wiederholt vor zu viel deutscher Einmischung den Wahlkampf des Nachbarlandes gewarnt. Die erste Runde findet an diesem Sonntag statt.

Die europäische Grenzagentur Frontex stellte nach Angaben des Bundesinnenministeriums im Jahr 2011 insgesamt rund 54 300 illegale Einreisen an der griechisch-türkischen Landesaußengrenze fest. In Griechenland selbst seien im vergangenen Jahr rund 99 000 illegale Migranten von Sicherheitskräften aufgegriffen worden.

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