Analyse: Israel fürchtet einen „islamischen Winter“

Der Kurs des neuen ägyptischen Präsidenten Mursi weckt Sorgen im Nachbarland.

Tel Aviv/Ramallah. Der Sieg des islamistischen Kandidaten Mohammed Mursi im ägyptischen Nachbarland weckt in Israel Sorge vor der Zukunft. „Finsternis in Ägypten“, titelte die Zeitung „Jediot Achronot“ in Anspielung auf die biblischen Plagen. Im Gazastreifen, wo die radikalislamische Hamas herrscht, wurde der Erfolg des „großen Bruders“, der ägyptischen Muslimbruderschaft, hingegen gefeiert. Hamas-Anhänger fuhren hupend durch die Straßen des Palästinensergebiets und feuerten Freudenschüsse ab.

Hamas erhofft sich nach dem Sieg Mursis eine weitere Annäherung an das mächtige Ägypten, Unterstützung im Widerstandskampf gegen Israel und eine weitere Öffnung der Grenze. „Der Verlierer in diesem Kampf sind Israel und seine Verbündeten in der Region“, frohlockte Hamas-Führer Mahmud Al-Sahar, mit Blick auf die rivalisierende Palästinenserorganisation Fatah.

Der gemäßigte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verliert mit Mursis Sieg weiter an Boden im innerpalästinensischen Machtkampf. Hamas steht der Muslimbruderschaft ideologisch und religiös nahe - immerhin ist sie ursprünglich aus der ägyptischen Organisation hervorgegangen. Für Israel wird es in Zukunft schwerer sein, hart gegen Hamas vorzugehen, ohne deren Schirmherren zu verärgern.

Israel befürchtet nach dem Sieg Mursis, der ohnehin kalte Frieden mit Ägypten könnte noch frostiger werden. „Die Welt hat uns ausgelacht, als wir den arabischen Frühling als islamischen Winter bezeichneten“, sagte ein Regierungsvertreter. „Aber jetzt verstehen alle, wie die Lage ist.“ Besonders alarmierend für Israel sind Äußerungen Mursis, er strebe engere Beziehungen zu Israels Erzfeind Teheran an. Eine islamistische Achse praktisch „direkt vor der Haustür“ wäre für Israel eine strategische Katastrophe.

In Israel wird genau registriert, dass Mursi in seiner ersten Ansprache betont hat, er wolle alle internationalen Verträge seines Landes achten. Ägypten war 1979 das erste arabische Land, das einen Friedensvertrag mit Israel schloss. Es spielt in der Region eine wichtige Rolle als Vermittler zwischen Israel und der Hamas sowie im brachliegenden Nahost-Friedensprozess.

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