Cirque du Soleil: Der Tänzer mit den tauben Beinen

Trotz gelähmter Gliedmaßen schaffte es Dergin Tokmak als Artist auf die Bühne des Cirque du Soleil.

Düsseldorf. Was Dergin Tokmak in seiner Kindheit noch besser kannte als Bolzplätze waren die Mehrbettzimmer eines Augsburger Krankenhauses. Schmerzen, Reha und Arztbesuche füllen den Alltag des kleinen Jungen aus. Als Baby erkrankte der Sohn türkischer Einwanderer an Kinderlähmung.

„Das Krankenhaus wurde meine zweite Heimat, die ich abgrundtief hasste“, sagt der heute 38-Jährige. Zwölf Operationen zählt er bis zu seinem zehnte Lebensjahr. Das alles, um die Beine des Kindes so beweglich wie möglich zu machen. Dennoch wird er ein Leben lang auf Gehhilfen angewiesen sein.

All das klingt nach dem passenden Stoff einer Mitleid heischenden Homestory für einen Privatsender. Doch zu Dergin Tokmak passt das gar nicht. Mitte der 80er Jahre wurde er „angefixt“, wie er sagt. Vom Tanz. Sein Held wird Eddie Rodriguez, der im Films „Breakin“ auf Krücken tanzt. Das will er auch.

Fortan trainiert er im Jugendklub mit Kumpels — auf Krücken und auf Händen. „Was machst du als Kind, das für jeden Schritt Krücken braucht, wenn du ein bisschen Spaß haben möchtest? Du lässt die nichtsnutzigen Beine weg und probierst es mit den Armen.“

Das funktioniert bis heute bestens. Regelmäßig tritt er unter seinem Künstlernamen „Stix“ mit der Tanzgruppe „Da F.U.U.N.K“ auf, mit 17 Jahren begleitet er die amerikanische Hip-Hop-Band „Run—DMC“ auf ihrer Deutschland-Tour.

Optisch versuchte sich Tokmak damals als eine Mischung aus MC Hammer mit weiten Hosen und Haartolle à la Vanilla Ice. „Für mein Styling verbrauchte ich damals vier große Flaschen extra starkes Haarspray pro Woche“, schreibt Tokmak in seinem Buch „Stix“. Rund zehn Jahre nach diesem modischen Fauxpas der 80er, irgendwo zwischen Aschaffenburg und Dresden auf der Autobahn, bekommt er das Angebot seines Lebens: Der Cirque du Soleil will ihn — als ersten Deutschen.

Er schafft es, die kritischen Choreographen zu überzeugen und steht 2004 als „hinkender Engel“ in der Show „Varekai“ auf der Bühne. 2600 Zuschauer warten auf seinen ersten Auftritt im kalifonischen Costa Meza.

„Ich hatte wahnsinniges Lampenfieber. Wir hatten gerade mal drei Tage gemeinsam trainiert“, erinnert sich der Tänzer. Für die Auftritte werden spezielle Krücken aus Carbon und Titan gebaut — um so leicht und stabil wie möglich zu sein.

Diese zwei Stäbe sind es, die ihm das Tanzen ermöglichen: „Dadurch kann ich aus meinem Körper, der eigentlich nur zu 50 Prozent funktioniert, 100 Prozent Leistung herausholen.“

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