Behandlungsfehler: Wenn der Tupfer im Körper bleibt

Die Zahl der ärztlichen Fehler nimmt zu, ein umfassendes Meldesystem fehlt aber noch.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) ist 2015 insgesamt 14.828 Verdachtsfällen auf einen Behandlungsfehler nachgegangen. Archivbild.

Der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) ist 2015 insgesamt 14.828 Verdachtsfällen auf einen Behandlungsfehler nachgegangen. Archivbild.

Foto: Jan-Peter Kasper

Berlin. Die Zahl der ärztlichen Behandlungsfehler ist im vergangenen Jahr weiter gestiegen. Dabei könnte es sich aber nur um die Spitze des Eisbergs handeln, denn eine systematische Erfassung der Fälle gibt es in Deutschland nicht.

Ein Patient meldet sich mit starken Rückenschmerzen beim Arzt. Doch der Mediziner übersieht, dass die Ursache ein Herzinfarkt ist. Bei einem anderen Patienten führt eine Darmspiegelung unbemerkt zur Verletzung auch der Milz. So kommt es zu heftigen Blutungen. Nur zwei von 14.828 Verdachtsfällen auf einen Behandlungsfehler, denen der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) 2015 auf Initiative der Opfer oder ihrer Angehörigen nachging. In 4.064 Fällen, also etwa jedem Vierten, bestätigte sich der Vorwurf. 2014 waren es noch 268 weniger gewesen. Immerhin 205 Patienten starben im vergangenen Jahr an Behandlungsfehlern.

"Seit Inkrafttreten des Patientenrechtegesetzes vor drei Jahren gibt es einen anhaltenden Aufwärtstrend", erläuterte Stefan Gronemeyer, stellvertretender Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes, am Donnerstag bei der Vorstellung der neuen Statistik in Berlin. Das Gesetz ermöglicht Patienten tatsächlich eine verbesserte Hilfe der Krankenkassen bei der Verfolgung von Schadensersatzansprüchen. Und das ohne zusätzliche Kosten. Die Beweislast liegt aber weiter grundsätzlich beim Geschädigten. Das bedeutet, dass er in der Regel den Arztfehler, den Schaden sowie den Kausalzusammenhang zwischen beiden Sachverhalten belegen muss. Und das ist häufig schwer genug.

Fehler nach operativen Eingriffen lassen sich einfacher feststellen als etwa bei Diagnosen. 7.693 Vorwürfe und damit rund die Hälfte aller beim MDK registrierten Fälle standen daher auch direkt im Zusammenhang mit einer OP-Behandlung. Bestätigt wurde der Verdacht aber nur in knapp jedem vierten Fall. Allen voran bei Knie- und Hüftgelenkoperationen sowie Oberschenkelhalsbrüchen. Viel zu häufig kommt es auch zu Komplikationen, die leicht vermeidbar gewesen wären: Schwere Druckgeschwüre zum Beispiel wegen unsachgemäßer Lagerung des Patienten. Auch Operationsinstrumente wie Tupfer oder Nadeln werden immer wieder im Körper "vergessen", weil die Zählkontrollen nach der OP mangelhaft waren.

Wie viele Behandlungsfehler es in Deutschland wirklich gibt, liegt freilich im Dunkeln. Nicht nur, dass sie oft gar nicht erkannt werden. Auch die Bilanz des MDK ist schon deshalb nur ein Teil der Wahrheit, weil Geschädigte auch die Ärztekammern einschalten können. Deshalb hat man dort eine eigene Statistik. Nach diesen Daten wurden im vergangenen Jahr 2132 ärztliche Fehler anerkannt. Zusammen mit der aktuellen Zahl des MDK wären das schon 6196. Darüber hinaus können Patienten direkt zu einem Anwalt gehen und den Verdacht von einem freien Gutachter prüfen lassen. Dies wird aber statistisch nicht registriert.

Die Krankenkassen fordern deshalb eine generelle Meldepflicht für ärztliches Versagen. "Die Sicherheitskultur ist in Deutschland noch unterentwickelt", meinte Gronemeyer. So lange man keine flächendeckenden Daten habe, sei auch keine systematische Fehlervermeidungsstrategie möglich. Mittlerweile gebe es nur ein Meldesystem, in denen Klinikmitarbeiter anonym "Beinah-Fehler" melden könnten, so Gronemeyer.

Andere Staaten sind da schon weiter. In England zum Beispiel werden durch umfassende Regelungen jährlich etwa 30.000 Behandlungsfehler registriert.

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