Schicksal A.J. aus Wuppertal ist Bäcker, Vater und seit sieben Jahren obdachlos

Wuppertal · Der Mann unter der B7-Brücke erzählt der WZ von seinem Leben auf der Straße. Er gibt auch Einblicke in sein Leben vor der Obdachlosigkeit.

A.J. hat sich einen Unterschlupf gebaut. Um seine Identität zu schützen, ist er nicht im Bild zu sehen.

A.J. hat sich einen Unterschlupf gebaut. Um seine Identität zu schützen, ist er nicht im Bild zu sehen.

Foto: Fischer, Andreas H503840

A.J. sitzt mit Jacke und Schuhen auf seiner Matratze unter einer Fußgängerbrücke. Zu seinen Habseligkeiten gehören eine Kommode, einige Taschen, Bücher und eine Kleiderstange, an der weitere Jacken hängen. Mit Styroporbauteilen hat er sich Wände gebaut. An einer hängt ein tellergroßer Buntglas-Aufhänger mit der Aufschrift „Coburg“. Ein wohnliches Element. A.J. zeigt auf das Ende seines Bettes: „Ich habe sogar eine Fußbodenheizung.“ Damit meint er den Gullydeckel in der Mitte seines Quartiers, der Wärme abgibt.

A.J., der eigentlich Thomas heißt, lebt nach eigenen Angaben seit etwa sieben Jahren auf der Straße. Seine letzte feste Anschrift war die Justizvollzugsanstalt Simonshöfchen. „Als ich entlassen wurde, hatte ich keinen Cent in der Tasche“, erinnert sich der 49-Jährige. Vier Nächte habe er noch bei einem Kumpel geschlafen. Als das nicht mehr ging, stand A.J. vor dem Nichts. „Ich bin dann erst einmal eine Nacht nur durch die Gegend gelatscht“, sagt er. Irgendwann legte er sich an die B7 in Elberfeld. „Damals hatte ich keine Decke und keine Matratze. Ich habe mich einfach auf den blanken Boden gelegt“, sagt er. Diese Nacht sei ihm in Erinnerung geblieben. „Da habe ich das erste Mal richtig gefroren.“ Später habe er sich Kisten und Decken besorgt.

Eine ältere Frau habe ihn irgendwann angesprochen und ihn gefragt, ob er einen Schlafsack benötige. A.J. sagt: „Die war sehr nett und hat mir einfach einen Schlafsack in einem Ein-Euro-Shop gekauft.“ Er habe sich richtig gefreut. Man sei sich noch öfters begegnet. „Ich habe ihr später beim Einkaufen geholfen“, erzählt A.J. „So sind wir Freunde geworden.“ Dann macht der Obdachlose eine kleine Pause und schiebt nach: „Letztes Jahr ist sie gestorben.“

A.J. hatte einmal ein anderes Leben. Der gebürtige Heiligenhauser ist gelernter Bäcker. „Ich habe sechseinhalb Jahre in dem Beruf gearbeitet“, berichtet er. Dann gab es Ärger. Erst mit einem Azubi. Später mit dem Chef. „Mir ist die Hand ausgerutscht“, sagt A.J.. Später versuchte er umzusatteln, begann eine Schreinerlehre. Dass er in dem neuen Beruf Fuß fassen konnte, habe der Gefängnisaufenthalt verhindert. Er saß wegen „kleinerer Sachen“, sagt A.J. – Diebstahl, Schwarzfahren. Ganz früher habe er auch Einbrüche begangen. „Ich bin kein Schlächter“, betont der Mann mit den blauen Augen und den vielen Tätowierungen auf den Armen.

Das Ordnungsamt toleriert den Obdachlosen

Es gab einen „Nullpunkt“ in seinem Leben, sagt A.J. Dabei spricht er nicht von seiner Zeit im Gefängnis. Wegen der Liebe war A.J. aus dem Kreis Mettmann nach Vohwinkel gezogen. Ganz unten sei er gewesen, als sich seine Frau von ihm getrennt hat. Am 8. April 2015 sei seine Tochter auf die Welt gekommen. „Sie wohnt jetzt bei ihrer Mutter.“ A.J.s Augen verlieren den Fokus.

Die Sonne wirft die langen Schatten von Fußgängern auf die Wiese vor A.Js Quartier. Menschen laufen über sein Dach. Immer wieder rattert die Schwebebahn vorbei. Das improvisierte Zuhause unter der Fußgängerbrücke mag Wände haben, aber jeglicher Schallschutz fehlt. Wenigstens die „Nachbarn“ seien nett. Also die Passanten. Man komme immer mal wieder ins Gespräch. Manche Leute würden ihm einen Kaffee kaufen. Blöd angemacht worden sei er noch nicht, sagt A.J.. Auch mit seinem Hab und Gut unter der Brücke hatte der Wohnungslose bislang Glück. Auf der Straße gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, sich nicht an den Habseligkeiten eines Obdachlosen zu bedienen.

Wenn A.J. über seine Situation spricht, klingt es fast so, als hätte er mit der Lage gut arrangiert. Er sagt: „Ich schlafe gerne draußen.“ Hier habe er seine Freiheit. Regelmäßig besuchten ihn Streetworker und würden nach dem Rechten sehen. Das Ordnungsamt toleriere sein Lager unter der B7-Fußgängerbrücke. Er dürfe sein Quartier nur nicht ganz dicht machen. Die Wände dafür hätte er. Im Großen und Ganzen gehe es ihm gut. „Im Moment habe ich Rücken“, sagt der Obdachlose. Es klingt wie eine kleinere Unannehmlichkeit.

Nach eigener Aussage könne sich A.J. auch die Rückkehr in eine Wohnung vorstellen. „Ich hatte erst letzte Woche wieder einen Besichtigungstermin“, sagt er. Es habe aber auch noch andere Interessenten gegeben. „Ich mache mir keine Hoffnung“, sagt er. Was würde er sich wünschen, wie es weitergeht? Er überlegt lange und zuckt mit den Schultern.

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