Nachhaltigkeit Einkaufen fast ohne Papier, Pappe oder Plastik

Serie | Wuppertal · Unverpackt-Läden wollen das Bewusstsein für den nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln schärfen. Das ist auch nötig, denn die Bundesrepublik produziert jährlich so viel Verpackungsmüll, wie kaum ein anderes Land in Europa.

 Nirgendwo in Deutschland ist die Dichte von Unverpackt-Läden so hoch wie in NRW. So gibt es alleine zwischen Wupper und Niederrhein zehn Unverpackt-Läden. Hier Diana Lantzen in ihrem Wuppertaler Laden „Ohne Wenn & Aber“.   Foto: afi

Nirgendwo in Deutschland ist die Dichte von Unverpackt-Läden so hoch wie in NRW. So gibt es alleine zwischen Wupper und Niederrhein zehn Unverpackt-Läden. Hier Diana Lantzen in ihrem Wuppertaler Laden „Ohne Wenn & Aber“.   Foto: afi

Foto: Fischer, Andreas H503840

Hier ein Kaffee im Pappbecher, dort eine Packung Sushi für die Mittagspause: Niemand produziert in Europa so viel Verpackungsmüll wie die Bundesbürger. Mit mehr als 227 Kilogramm pro Person lag Deutschland nach den jüngsten Zahlen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) im Jahr 2019 hier über 50 Kilo über dem europäischen Mittelwert. Insgesamt belief sich die Gesamtmenge des in der Bundesrepublik produzierten Verpackungsmülls auf 18,9 Millionen Tonnen – ebenfalls Spitzenwert in Europa.

Zahlen, die auch bei Diana Lantzen immer wieder für Kopfschütteln sorgen. Inspiriert von der Fridays-for-Future-Bewegung, fällte sie im November 2019 die Entscheidung, sich selbstständig zu machen. „Die Demo auf der B7 war für mich der Wachrüttler. Im Anschluss stellte sich für mich die Frage, wie ich persönlich nicht nur für meine Kinder im Angesicht des Klimawandels eine langfristige Perspektive schaffen kann“, erklärt die ehemalige Unternehmensberaterin. Das Ergebnis dieser Überlegungen ist Wuppertals erster und bislang einziger Unverpackt-Laden: „Ohne Wenn & Aber“. In den Räumlichkeiten der Alten Feuerwache werden etwa 1000 Produkte ohne Verpackung angeboten. Darunter nicht nur lose Lebensmittel wie Nudeln, Haferflocken, Reis oder Nüsse, sondern auch Drogerieprodukte wie Seifen, Deos und Babylotion.

„Insgesamt haben wir 60 verschiedene Lieferanten. Frische Ware wie Obst und Gemüse beziehen wir von fünf Biohöfen aus dem Windrather Tal. Einige Produkte kommen aber auch vom Niederrhein oder aus Holland“, berichtet Diana Lantzen, die im Sinne der Nachhaltigkeit auch darauf achtet, wie die Waren zu ihr gebracht werden. „Freitags bekommen wir immer frisches Brot, das der Bäcker mittlerweile mit dem Lastenrad bringt.“ Dass sie der Service 120 Euro im Monat kostet, nimmt die Unternehmerin dabei gerne in Kauf. Viel wichtiger ist ihr, dass durch den Wegfall der Anfahrt mit dem Auto bei der wöchentlichen Brotlieferung 3,96 Kilogramm CO2 eingespart werden. Und um das Konzept des nachhaltigen Einkaufens zu unterstützen, animiert sie auch ihre Kundschaft dazu, das eigene Auto stehenzulassen. Denn: Wer zu Fuß oder mit dem Rad bei „Ohne Wenn & Aber“ zum Einkauf vorfährt, bekommt fünf Prozent Rabatt.

Nichtsdestotrotz ist offenkundig eines der Argumente, das viele Menschen davon abhält, unverpackt einkaufen zu gehen, der Preis. So werden grüne Lebensmittel oder „Bio“ auch im Jahr 2022 immer noch als „teuer“ eingestuft, sagt Dominik Kaczmarek. Der Student aus Wuppertal führte dazu vor einigen Monaten ein Experiment durch. Um das Angebot im Unverpackt-Laden mit dem aus einem Bio-Supermarkt zu vergleichen, hatte sich Kaczmarek für seinen Wocheneinkauf insgesamt 60 Produkte auf die Einkaufsliste geschrieben. Saisonbedingt bekam er nur 58 davon im Bio-Supermarkt und zahlte dafür 95,32 Euro. In der folgenden Woche fand er 52 der ursprünglich 60 anvisierten Produkte bei „Ohne Wenn & Aber“ und zahlte dafür 86,74 Euro. Am Ende war das nachhaltige Einkaufsexperiment etwa im Vergleich zum Discounter dabei keinesfalls günstig, aber: „Das Vorurteil, dass Einkäufe im Unverpackt-Laden generell teurer als alles andere sind, ist damit zumindest nach meiner Erfahrung nicht haltbar“, bilanzierte Kaczmarek. Der Student kennt auch ein weiteres Problem, das viele Kunden im Zusammenhang mit Unverpackt-Läden hätten: „Ich gehe seit zwei Jahren unverpackt einkaufen und habe dabei festgestellt, dass viele Menschen sich hierher nicht trauen, weil sie denken, es sei kompliziert.“

Diese vermeintliche Angst kennen Diana Lantzen und ihre Kollegen aus den anderen Läden der Region nur zu gut. „Auf den ersten Blick kann das Ganze schon etwas überwältigend wirken, weil es hier eben eine vollkommen andere Aufteilung als im Supermarkt gibt. Es muss sich aber niemand mit Tupperware oder Dutzenden verschließbaren Gläsern eindecken, nur um bei uns einkaufen zu können.“

Kunden können auch alte Verpackungen mitbringen

So steht es den Kunden frei, auch ihre alten Nudelverpackungen aus Pappe oder Frischhaltebeutel aus Plastik mitzubringen. Wie die Gläser werden alle Behälter vorher abgewogen und dann nur das Gewicht des jeweiligen Inhalts berechnet. „Die Hauptsache ist, dass das Material eben nicht im Müll landet. Und wenn wir dabei auch noch lokale Lieferketten unterstützen sowie unseren Kunden zeigen können, dass es statt Quinoa aus Peru auch Leinsaat aus NRW tut, dann ist hier schon einmal ein weiterer kleiner, nachhaltiger Schritt getan“, freut sich die Wuppertalerin.

Dass dies heutzutage weiterhin schwierig, aber teilweise durchaus möglich ist, zeigt auch das Einkaufsexperiment von Dominik Kaczmarek, der in diesem Zusammenhang ebenfalls das Thema Verpackungsmüll analysierte. So fielen nach dem Einkauf im Unverpackt-Laden 1,5 Kilogramm Pfandglas und 67,5 Gramm Pfandmetall an. Auf der anderen Seite waren die Produkte aus dem Bio-Supermarkt in 2,4 Kilo Glas, 53 Gramm Metall, 63,5 Gramm Papier, 167 Gramm Plastik und 32 Gramm Papier-Plastik-Verbund verpackt: „Wenn man davon ausgeht, dass davon ein Großteil tatsächlich im Müll landet, dann ist der Unterschied in der Abfallmenge, die bei jeweils 52 maximal möglichen Wocheneinkäufen pro Jahr in einem der beiden Geschäfte entsteht, schon eklatant.“

Auch deshalb begrüßen das Konzept der Unverpackt-Läden, die auch oft durch direkt angeschlossene Cafés, einen Catering-Service oder Angebote wie Workshops zum Thema Nachhaltigkeit ergänzt werden, natürlich nicht nur Betreiber wie Diana Lantzen und ihre Stammkunden, sondern auch Experten. Gerade wegen der damit verbundenen Reduzierung von Müll: „Wer nur kleine Mengen benötigt, muss keine ganze Packung kaufen, sondern kann im Unverpackt-Laden die Menge selbst bestimmen“, weiß Ökotrophologin Saskia Vetter von der Verbraucherzentrale. „Besonders Alleinlebende stehen oft vor der Herausforderung, große Mengen vollständig zu verbrauchen. Der Einkauf der Wunschmenge ist dabei ein großer Vorteil.“

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