„No Direction Home“: Grandiose Dylan-Biografie

Berlin (dpa) - Der rätselhafte Messias, das widersprüchliche Idol der Gegenkultur: Bob Dylan. Ein überbordendes Leben. Entsprechend voluminös ist die Biographie „No Direction Home von Robert Shelton ausgefallen, die allerdings „nur“ die Jahre 1941-1978 abhandelt.

Rund 650 Seiten prall gefüllt mit Fakten, Anekdoten und Analysen über Robert Zimmerman, der am 24. Mai seinen 70. Geburtstag feiert.

Wer mag dieser Bob Dylan sein? Robert Shelton war jahrzehntelang auf seiner Spur, war sich aber auch immer im Klaren, dass er auf der Suche nach der „absoluten Wahrheit“ lediglich auf „relative Wahrheit“ hoffen durfte.

„Ich fühlte mich wie der Reporter in 'Citizen Kane' auf der Suche nach Rosebud. Aber es gab Dutzende Rosebuds“, schreibt er in seiner unterhaltsamen und fundierten Bio, die 1986 erstmals publiziert wurde und jetzt in einer aktualisierten Neuauflage vorliegt. Dylans „Schlitten“ hat er nicht gefunden, dafür aber öffnet Shelton viele verschlossene Türen. Vor allem Dylans Kindheit in Hibbing und das schwierige Verhältnis zu seinen Eltern nehmen einen breiten - sehr schlüssigen - Raum ein.

Der 1926 in Chicago geborene Shelton hatte Dylan 1961 kennengelernt und durch einen Artikel in der „New York Times“ dessen Karriere in Schwung gebracht. Shelton - ein intimer Kenner der Szene: Er war der „Katalysator und Chronist des Folk-Booms der 1960er“ gewesen, schrieb John Pareles in seinem Nachruf auf dem 1995 verstorbenen Musikkritiker, dessen Rolle nicht überschätzt werden kann.

Trotz aller im Vorfeld formulierten Zweifel ist „No Direction Home“ ein fesselndes Buch über den Menschen und Künstler Bob Dylan geworden, verfasst von einem brillanten Journalisten, der der rätselhaften Folk-Ikone auf Augenhöhe begegnet. Dylan selbst hat Shelton mit Informationen versehen, immer wieder Interviews gegeben und ein freundschaftliches Verhältnis mit ihm gepflegt. Entstanden ist dabei eine Biographie eines Insiders, die Adepten wie Neu-Fans gleichermaßen zufriedenstellen dürfte. „Also, Bob, ich vertrau dir, dass du mit deiner Story ehrlich ist“, sagte Dylan zu Shelton - er sollte nicht enttäuscht werden.

Dabei Immer den Anspruch im Blick, Dylans herausragende Stellung unter den Großen des 20. Jahrhunderts - Picasso, Chaplin, Welles - zu untermauern, denn schließlich hatte er „die Intelligenz in die Popmusik gebracht“.

Dylans Kindheit in Hibbing, sein Aufbruch nach New York, der Durchbruch beim Newport Folk Fesival 1963, die Erfindung des Folk-Rock, seine Elektrifizierung, sein Motorradunfall, sein Schweigen danach und seine Erweckung - die Fakten sind bekannt. Sheltons große Kunst besteht darin, neben Dylan zahlreiche Zeitzeugen zu Wort kommen zu lassen, ihre Sicht auf Dylan zu zeigen, Spuren akribisch zu sammeln und zu lesen und die Songs einer genauen Analyse zu unterziehen, um ein buntes und lebendiges Bild des Kosmos' Dylan zu zeichnen.

Aber selbst Freundin Joan Baez hat Dylan, diesen schmächtigen Mann mit den düsteren Liedern, bei dem sich Verzweiflung, Todessehnsucht und Ehrgeiz mischten, nie ganz ergründen können. „Er ist ein komplizierte und problematische Person. Ich sehe Bobby mit einem leicht angesplitteten Diamanten in seinem Kopf. Viel zerbrechlicher als der Durchschnitt“, erzählte sie Shelton.

Der Anfang war auch für den provinziellen Folknik Dylan schwierig. Über einen seiner frühen Auftritte in einem Hotel erzählte er: „An dem Abend gab's jede Menge verschiedene Auftritte, wenn aber jemand sang, traten gleichzeitig Clowns auf. Die Clowns wurden bezahlt, die Musiker nicht. Ich konnte mich nicht mal selbst hören. Ein Clown ging auf mich los und kniff mir in die Wange. Ich hab ihm in die Eier getreten, und niemand hat's gesehen - die anderen Clowns haben mich dann in Ruhe gelassen.“

Mit Clowns musste er sich nachher nicht mehr herumschlagen, schwerer lastete die Bürde, als Messias bezeichnet zu werden, der er niemals sein wollte. Schließlich lief er nicht über Wasser, sondern tat auch ganz „normale“ Dinge: Auf Tour jagte er in der Wüste Feuerwerkskörper in die Luft, verzockte Geld am Spieltisch, sprang in den Rockies bei minus 17 Grad in einen Hotelpool, der von einer unterirdischen Quelle gespeist wurde. Muss man das wissen? Um Dylan näherzukommen, Idol der Gegenkultur, Stimme seiner Generation - unbedingt!

Willkommen war er nicht überall. Als er in Australien auftrat, beschrieb ihn „The Sydney Sun“ ziemlich abfällig: „Pygmäengroß, fahlgesichtig...der Gesichtsausdruck eines Mannes, der noch teilweise narkotisiert aus dem OP gefahren wir.“ Geschichte. Längst ist der Musiker als einer der großen Dichter Amerikas anerkannt. Jetzt fehlt nur noch der Literaturnobelpreis.

(Robert Shelton, Bob Dylan: No Direction Home - Sein Leben, seine Musik 1941-1978, Neu herausgegeben von Elizabeth Thomson und Patrick Humphries, ca. 656 Seiten mit zahlreichen Abbildungen, Edel/Rockbuch, 29,95 Euro, ISBN 978-3-841900-65-4)

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