Grand Prix: So war München '83

Berlin/München (dpa) - München, im April 1983: Es ist das erste Mal, dass Deutschland als Sieger den Eurovision Song Contest ausrichtet. Ein großes Multitalent übernimmt die Moderation, ein kleines Land den ersten Platz.

„Nanu, wer hat denn Michelle Hunziker in die 80er Jahre gebeamt?“, denkt mancher, der die Aufnahmen vom 23. April 1983 sieht. Doch die anmutige Blondine, die damals im blauen Glitzer-Kleid den Grand Prix Eurovision de la Chanson in München präsentierte, war die Tänzerin und Sängerin Marlène Charell.

Vor 28 Jahren durfte Deutschland erstmals als Vorjahressieger den Grand Prix, oder wie man heute profan sagt: den Eurovision Song Contest (ESC), veranstalten. Zwölf Monate zuvor hatte die 17-jährige Nicole im englischen Kurort Harrogate gewonnen. Mit dem Lied „Ein bißchen Frieden“ holte die Saarländerin den Wettbewerb nach Deutschland. Bereits 1957 ging in Deutschland ein ESC über die Bühne, der zweite überhaupt - eine vergleichsweise kleine Gala in Frankfurt und ein ESC ohne vorherigen deutschen Sieg.

Für den Grand Prix 1983 wählte die damals federführende ARD-Anstalt, der Bayerische Rundfunk (BR), seinen Hauptsitz als Austragungsort aus: München, die heimliche Hauptstadt der Bundesrepublik, wie man in den 80ern zu sagen pflegte.

Über die Bühne ging die Gala in der Rudi-Sedlmayer-Halle, einst Basketballhalle der Olympischen Spiele 1972. Das Bühnenbild bildeten 99 Lichtrahmen mit 63 000 Glühlämpchen auf einem Stahlrohrgerüst von 30 Meter Breite und siebeneinhalb Meter Höhe. Als Farbtöne dominierten Braun und Orange. 2011 in Düsseldorf kommt eine 60 mal 18 Meter große LED-Wand zum Einsatz. Während in München 3200 Gäste in der Halle dabei waren, sollen es in Düsseldorf etwa 36 000 werden.

Die TV-Show vor 28 Jahren begann mit einem Film über Deutschland, der Sehenswürdigkeiten, vorwiegend aus der Flugperspektive, präsentierte. Gleich zu Beginn wurden alle Teilnehmer, wie zu einem Finale, auf die Bühne gerufen.

Charell moderierte dreisprachig - und zwar durchgehend. Beim ständigen Springen zwischen Englisch, Französisch und Deutsch („The conductor, le chef d'orchestre, es dirigiert...“) wirkte der frühere Revue-Star auf viele überfordert. Journalisten zählten allein bei der Punktewertung zwölf Versprecher. „Das Lampenfieber war enorm. Das gebe ich zu. Und ich habe etliche Fehler gemacht. Doch man kann ja leider die Zeit nicht zurückdrehen“, sagt die heute 66-Jährige im dpa-Interview.

Ausländische Kommentatoren lästerten damals, Charell müsse wohl alles machen. In der Pausennummer tanzte die damals 38-Jährige auch noch, um dann schnaufend von den Jurys die „Points“ einzufordern. In diesem Jahr in Düsseldorf teilen sich Anke Engelke, Judith Rakers und Stefan Raab die Aufgaben der Moderation.

Eine halbe Milliarde Menschen in mehr als 30 Ländern soll den Grand Prix 1983 gesehen haben, doch da scheint man damals die Reichweite mit der Zuschauerzahl verwechselt zu haben. In Deutschland saßen nach Senderangaben etwa 13,6 Millionen Menschen vor dem Fernseher, im Jahr zuvor hatten Nicoles Sieg etwa 13,8 Millionen verfolgt. Zum Vergleich: Den ESC 2010 mit dem Sieg von Lena sahen im Schnitt 14,7 Millionen Menschen in Deutschland. In diesem Jahr erwarten die Macher weltweit 120 Millionen Fernsehzuschauer.

Im Rund der Rudi-Sedlmayer-Halle nahm gegen Ende das Raunen mit fast jeder Punktewertung zu. Experten hatten geglaubt, Favorit Israel mache das Rennen. Doch Ofra Haza, die dann später - 1988 - mit „Im Nin'Alu“ einen Welthit landete, kam nur auf Platz zwei.

Den Sieg am Ende der TV-Show mit langbeiniger Moderatorin trug eine Französin mit kurzer Karriere davon - für das Großherzogtum Luxemburg gewann die 21-jährige Corinne Hermès. Artig gratulierte ihr Vorjahressiegerin Nicole. Sowohl die Interpretin als auch ihr Lied („Si la vie est cadeau“) sind heute in der Versenkung verschwunden.

Die Bundesrepublik kam mit dem Karlsruher Duo Hoffmann & Hoffmann und dem Trennungs-Lied „Rücksicht“ (Musik: Michael Reinecke, Text: Volker Lechtenbrink) auf den fünften Platz.

Bayerns legendärer Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der im Publikum saß, hatte vor dem Schlagergipfel die Parole ausgegeben, die 20 Beiträge hätten Anspruch darauf, „von den Folterwerkzeugen hämischer Kulturkritikaster verschont zu bleiben“. München halte viel aus: „Wir sind hier nicht so anspruchsvoll wie in jenen aufgeregten Festspielorten, wo fein abgestimmter Kaviar und Lachs das exklusive Pendant zum fein ziselierten Mozart und Beethoven bilden.“

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