„Götterdämmerung“ als Videoabend in Berlin

Berlin (dpa) - Stundenlang winden sich abstrakte Formen und verschwommene Gestalten in Schwarz-Weiß über die Leinwand. Sie erinnern an den Schaum in der Waschmaschinenluke oder Mikroben unter dem Mikroskop.

Mit dem Fünf-Stunden-Werk „Götterdämmerung“ von Richard Wagner (1813-1883) hat die Berliner Staatsoper am Sonntagabend ihren „Ring des Nibelungen“ geschlossen - ein langer Videoabend in tausend Schatten von Grau.

Wie in Berlin feiern auch weitere Opernhäuser in Deutschland den 200. Wagner-Geburtstag mit neuen „Ring“-Produktionen. In Berlin kommt seit mehr als zwei Jahrzehnten Götz Friedrichs legendäre „Tunnel“-Inszenierung immer wieder auf das Programm der Deutschen Oper. Die Staatsoper Unter den Linden setzte lange Jahre auf Harry Kupfers Inszenierung, bis nun Barenboim als Musikchef in Berlin und an der Mailänder Scala eine koproduzierte Tetralogie einfädelte.

Schon in „Rheingold“, „Walküre“ und „Siegfried“ war der belgische Regisseur Guy Cassiers mit viel Elektronik nach Walhall ausgezogen. Monitore, die das Bühnengeschehen verdoppeln, mit Laser bestrahlte Kugeln: Der Kampf um den Nibelungenschatz als Lichter- und Pixel-Schlacht.

Auch zum „Ring“-Abschluss setzt Cassiers auf Flimmerbilder. Dafür ist die Restbühne (Bühnenbild: Cassiers/Enrico Bagnoli) um so spartanischer. Der Walkürenfelsen ist ein Holzpodium, für die Halle der Gibichungen werden riesige Jalousien abgesenkt. Ab und zu schieben sich Podien dazwischen, in die menschliche Extremitäten eingefasst sind. Das Rätsel löst sich mit dem Abschlussvorhang, der die gefallenen Götter im Relief zeigt.

Von Cassiers programmatischer Aussage, er wolle mit dem „Ring“ die Geschichte einer Weltordnung zeigen, „in der die Macht in den Händen derjenigen liegt, die die Verbreitung von Bildern und Informationen kontrollieren und manipulieren“, ist nur selten etwas zu sehen, etwa wenn über die Leinwand Geldscheine und Lastwagen angedeutet werden - der Rhein als globaler Finanzstrom.

Ansonsten herrscht dunkle Einheitsstimmung: Grau die Fetzenkostüme (Tim van Steenbergen), sparsam das Licht (Bagnoli). Auch die Balletteinlagen (Choreographie: Sidi Larbi Cherkaoui) wirken ungelenk. Als im Schlussbild die Figuren im Schatten verharren, macht Cassiers deutlich: In dieser Welt der gefallenen Götter ist die Erlösung wohl nicht in Sicht.

Auch das Sängerensemble hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck. Iréne Theorin ist eine kräftige Brünnhilde, die zuweilen ihre Kraft überreizt. Ian Storey als Siegfried wirkt in seiner baritonalen Tiefe in weiten Teilen überfordert. Dagegen gibt Mikhail Petrenko als Hagen beeindruckend den durchtriebenen Intriganten, Marina Prudenskaja als Waltraute überzeugt mit ausdrucksvollem Sopran.

Zum Ereignis wird die Staatskapelle Berlin, die tief im Graben einen dunklen Wagner-Klang hervorbringt. Barenboim entlockt dem Orchester fast kammermusikalische Nuancen, nur die Blechbläser donnern zuweilen in die sensible Akustik des Schiller Theaters, Ausweichquartier der Staatsoper. Die Zuschauer feierten die Staatskapelle und - verhaltener - das Sänger-Ensemble. Vereinzelte Buhrufe gab es für Cassiers.

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