Das Popjahr 2010: Zwischen Lena und Lady Gaga

ESC-Taumel, Boygroup-Revival, ein Fleischkleid und ein düsterer Adeliger — das Pop-Jahr war knallig und laut. Im Überblick: Wer „in“ war und was nachzuholen ist.

Düsseldorf. Das Sommermärchen 2010 begann nicht mit dem Anpfiff der Fußball-WM im Juni, sondern bereits am 29. Mai — in Oslo. Deutschland schwenkte kollektiv Schwarz-Rot-Gold, als Lena Meyer-Landrut den Sieg beim Eurovision Song Contest davontrug. Nun, knapp sieben Monate später, ist ihr „Satellite“ dank Dauerrotation verglüht und ihr Stern deutlich gesunken. Von Euphorie darüber, dass sie den Titel am 14. Mai in Düsseldorf verteidigen soll, ist nichts zu spüren. Eher Ernüchterung. Schlecht ist das nicht: Lena kann 2011 eigentlich nur positiv überraschen.

Abseits des ESC-Taumels wurde ein Traum in Fleisch zum popkulturellen Statement 2010. Kleid, Schuhe, Tasche, Hut — alles, was Lady Gaga am 12. September bei den MTV Video Music Awards trug, war rot und roh und direkt vom Schlachter.

Von politischer Botschaft keine Spur. Die Gaga untermauerte mit ihrem provokanten Auftritt lediglich ihre unbestrittene Vormacht im Pop-Bereich. Und das in einem Jahr, in dem sie nur ihren gesammelten Ruhm verwaltete, bevor im kommenden Frühjahr ihr neues Album erscheint.

Bezeichnend auch die Bemühtheit ihrer weiblichen Kollegen, den minimalistischen Gaga-Pop zu kopieren: Pink, normalerweise rocklastig, ließ auf ihrer neuen Single „Raise Your Glass“ die Gitarrenriffs weg, und selbst Rihanna brachte mit „Only Girl In The World“ einen auf Krawall gebürsteten Song heraus, der ihr eigentliches Genre, den R’n’B, vollends verleugnete. Die Jahre des Understatements sind vorbei: Pop darf endgültig wieder offensichtlich und deftig sein. KeSha, die Black Eyed Peas oder Katy Perry sind Nutznießer dieses Trends.

Dass sich inmitten all dieser knalligen Feierwut ausgerechnet ein zart schmelzendes Stück Synthesizer-Melancholie zum Überraschungshit des Jahres mauserte, ist da eigentlich nur konsequent.

Das Elektro-Duo Hurts aus dem traditionsreichen Manchester wurde mit seiner Single „Wonderful Life“ zum neuen Hoffnungsträger in Sachen Indie-Pop. Allerdings hielt das dazu gehörige Album „Happiness“ mit teils bleierner Belanglosigkeit nicht so recht, was der unwiderstehliche Vorbote versprach.

Bei Eminem verhielt es sich exakt entgegengesetzt. Nachdem sein letztjähriges Album „Relapse“ mit peinlichem Poser-Hip-Hop relativen Schiffbruch erlitten hatte, war die Vorfreude auf das diesjährige Nachfolgewerk eher gedrosselt. Doch der von Drogen-Eskapaden und persönlichen Krisen gebeutelte Marshall Mathers fand auf seinem siebten Longplayer zu alter Form zurück, rappte plötzlich wieder, als gelte es, damit sein Leben zu retten, und landete nach mehr als sechs Jahren auch wieder in den obersten Regionen der Hitlisten. Der bezeichnende Titel seines Comeback-Albums: „Recovery“, zu Deutsch: Erholung.

Dass Eminem es trotz starker Verkaufszahlen in Deutschland nicht auf Platz eins der Albumcharts schaffte, verdankte er der wiederentdeckten Sehnsucht der Deutschen nach adeliger Führung. Was die Guttenbergs auf dem politischen Parkett sind, ist im Musikgeschäft „der Graf“.

Die vom ratternden Dark-Wave zum schlageresken Wohlfühl-Pop reformierte Aachener Band Unheilig unter der Leitung von Frontmann Bernd Graf dominierte nicht nur das Popjahr 2010, sondern brach auch noch obendrein für unbrechbar gehaltene Rekorde. 19 Wochen stand das Album „Große Freiheit“ auf der Pole Position, fünf Wochen länger als Herbert Grönemeyers „Ö“ (1988). Damit ist der Longplayer die erfolgreichste deutschsprachige Platte aller Zeiten.

Für Verkaufszahlen in noch mal völlig anderen Sphären sorgte die vielleicht bizarrste Wiedervereinigung der Pop-Geschichte: Robbie Williams versöhnte sich mit Gary Barlow, Take That ist wieder ein Quintett.

Das Album „Progress“ ging in Großbritannien während der ersten Woche über 500 000 Mal über die Ladentheke. Mehr schafften nur Oasis 1997. Zudem ist die für 2011 angekündigte Welt-Tournee, die am 25. Juli auch in Düsseldorf Halt machen wird, bis auf wenige Restkarten ausverkauft. Hoffentlich behalten sie ihre Gültigkeit. Zwischen Williams und Barlow soll’s schon wieder rumoren.

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