Alles Bowie — aber ohne Bowie

Die Londoner Ausstellung über den Musiker und Schauspieler bricht alle Rekorde. Der Künstler selbst macht sich allerdings rar.

London. Willkommen im Arbeitshirn des Kreativ-Chamäleons David Bowie: Seit Samstag ächzt das Victoria & Albert Museum unter dem Besucheransturm seiner jüngsten Ausstellung. Anhand privater Erinnerungsstücke des Stars dokumentiert die Schau den Aufstieg des Teenagers aus der fantasiefreien Ödnis Londoner Vororte zum lebenden Gesamtkunstwerk. Bowie kriegt man dennoch nicht zu fassen.

Der bewusst unvollständige Titel der Ausstellung „David Bowie is“ lässt sich gut ergänzen mit: — vor allem ein Kontrollfreak. Denn angesichts des Wustes an handschriftlichen Songtexten, Plänen und Skizzen zeigt sich der detailversessene Perfektionist in Bowie. Nur hier, inmitten der Exponate aus seinem Leben, will der 66-Jährige nicht mitgemischt haben. „Wir durften uns frei in seinem Archiv bedienen, aber haben David nie zu Gesicht bekommen oder die Ausstellung mit ihm besprechen können“, erklärt Kurator Geoffrey March.

Bowie wäre nicht Bowie, wenn er seine neue, museale Phase nach Herz-OP und zehn Jahren Stille nicht wenigstens mit einem Soundtrack untermalen würde. Das Album „The Next Day“ hat es just zur Ausstellungseröffnung in die Charts ganz nach oben geschafft. So eine Punktlandung hätte man sich auch vom V&A gewünscht, dessen Kuratoren über zwei Jahre die Schätze in Bowies Archiv durchkämmt haben.

Viele Stücke sind zuvor nie öffentlich, seine Bühnenoutfits selten so nah zu sehen gewesen wie in der Londoner Ausstellung. Spektakuläres, wie das aufwendige Pierrot-Kostüm aus dem Musikvideo „Ashes to Ashes“, gehört ebenso dazu wie manches sentimentale Relikt — so etwa die Haustürschlüssel von Bowies Berliner Wohnung, in der er sich 1977 nach seiner Kokainabhängigkeit neu justierte.

Gerade da liegt die Stärke der Retrospektive: Die Kollision des jungen, unverschämten Teilchenbeschleunigers mit einer behäbigen Gesellschaft wird wunderbar deutlich, etwa an Tonbandaufzeichnungen der BBC, die sich einst wunderte, „warum diesem bizarren, selbstkonstruierten Freak die Mädchen zu Füßen fallen“. Selbst 20 Jahre später, 1995, schaffte Bowie es noch zu provozieren, indem er die Bitte des blumigen Lifestyle-Labels Laura Ashley um ein hübsches Tapetendesign mit einer Collage nackter Männer parierte.

Über die wohl einzige zensierte Tapete der Welt kann man sich ebenfalls im V&A amüsieren. Seine lebenslange, künstlerische Unbeirrbarkeit im Angesicht sumpfiger Inspirationslosigkeit wird erst hier richtig deutlich.

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