Berlin SPD-Parteitag - Wie beim Hornberger Schießen

Berlin. · Der SPD-Parteitag wählt mit großer Mehrheit zwei neue Vorsitzende und lehnt den Austritt aus der Groko vorerst klar ab.

 Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind zur neuen SPD-Doppelspitze gewählt worden.

Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sind zur neuen SPD-Doppelspitze gewählt worden.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Fast verhaut Norbert Walter-Borjans („Nowabo“) seine ohnehin nicht mitreißende Rede noch. „Wir werden weder Wahlen gewinnen...“, hebt er zum Schluss an, um sich schnell zu korrigieren: „Wie wir wieder Wahlen gewinnen...“, wollte er sagen. Vielleicht sind‘s die Augen. Egal. Die rund 600 Delegierten des Parteitages in Berlin erheben sich zu einem minutenlangen Beifall. Die SPD will endlich wieder ihre Ruhe haben nach diesem chaotischen halben Jahr. Mit Walter-Borjans und seiner Co-Vorsitzenden Saskia Esken an der Spitze.Und auch die restliche Führung ist komplett neu.

89,2 Prozent bekommt der 67jährige frühere nordrhein-westfälische Finanzminister bei der Wahl, 75,9 Prozent seine 58-jährige Kollegin aus Baden-Württemberg. Eigentlich ist die Abstimmung nur Formsache; schließlich haben die beiden den Mitgliederentscheid gegen die Konkurrenten Olaf Scholz und Klara Geywitz mit deutlichem Vorsprung gewonnen.

Walter-Borjans gilt vielen als Robin Hood der SPD

Esken, in der Bundestagsfraktion bisher eine Hinterbänklerin, hatte im August überhaupt erst die Idee für die Kandidatur mit Walter-Borjans, den sie kannte, weil der einst die Schweizer Steuer CDs aufgekauft und damit sieben Milliarden Euro eingetrieben hatte. Das war in der Urwahlphase ein wichtiger Punkt. In seiner Parteitagsrede vergisst Walter-Borjans natürlich nicht, zu erwähnen, wie kritisch die Schweizer Presse seine Kandidatur kommentiert hat. „Glaubwürdigkeit kommt von standhaft bleiben“, sagt er dazu. Eigentlich war er schon auf Rente. Jetzt gilt er vielen in der SPD als eine Art Robin Hood der sozialen Gerechtigkeit. Die Jusos haben auf ihn gesetzt.

Beide neuen Vorsitzenden beschwören das Erbe Willy Brandts, in dessen Amtszeit sie ihr politisches Engagement begannen. Esken, im knallroten Hosenanzug gekleidet, redet etwas schärfer, sie ist auch pathetischer: „Hört ihr die Signale?“ fragt sie am Ende. „Die neue Zeit, sie ruft!“ Da stehen die Delegierten auf und jubeln. Die Partei will wieder klare, unverfälschte Gefühle haben. SPD pur. Ülker Radziwill, Landtagsabgeordnete aus Berlin und immer schon Gegnerin der Großen Koalition, sagt wie etliche andere: „Die beiden haben uns aus der Seele gesprochen, sie haben auf unsere sozialdemokratischen Herzen gehört“.

Die neuen Parteichefs tragen Forderungen an den Koalitionspartner vor. Ein Mindestlohn von wenigstens zwölf Euro, ein höherer CO2-Preis samt Sozialausgleich für steigende Benzinkosten und ein zusätzliches Investitionsprogramm in Höhe von 45 Milliarden Euro jährlich. Als Walter-Borjans sagt, dafür müsse die „schwarze Null“ fallen und zur Not auch die Schuldenbremse im Grundgesetz, gibt es großen Beifall. Allerdings, am Vorstandstisch, wo die noch amtierende Parteiführung sitzt, darunter auch Finanzminister Olaf Scholz, klatscht bis auf Esken niemand.

Doch es klingt nur wie eine Kampfansage an die Groko. Denn der vom neuen Führungsduo eingebrachte Leitantrag unter dem Titel „Aufbruch in die neue Zeit“ bilanziert die Halbzeit der Koalition durchaus positiv und lässt außerdem offen, was geschieht, wenn die Union auf die Forderungen nicht eingeht. Es ist lediglich von Gesprächen die Rede, die der Parteivorstand später bewerten soll. Keine Fristen, keine roten Linien. Einige Parteilinke um Hilde Mattheis und Ex-Juso-Chefin Franziska Drohsel riechen eine Falle. Sie beantragen, schon jetzt das Ende der Großen Koalition zu beschließen. Das ist die eigentliche Debatte des Tages. Eröffnet wird sie von DGB-Chef Reiner Hoffmann, der den Genossen sehr langsam wie zum Mitschreiben vorbetet: „Die Liste eurer Erfolge ist beachtlich.“ Und: „Kompromisse sind das Wesen der Demokratie“. Mattheis hält dagegen, dass die SPD in der Groko immer schwächer geworden sei. Sie spricht vom „schleichenden Tod“. Doch als sich auch Juso-Chef Kevin Kühnert hinter die moderate Linie stellt, ist die Luft raus. So endet die mit Spannung erwartete Groko-Debatte wie das Hornberger Schießen.

„Wir brauchen keine Leute, die breitbeinig durch Berlin laufen“

Auch die strittigen Personalien werden entschärft. Kühnert wird neuer stellvertretender Vorsitzender werden, neben der Brandenburgerin Klara Geywitz und der saarländischen Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger. Weil Arbeitsminister Hubertus Heil, der gegen Kühnert antreten wollte, womöglich verloren hätte, wird die Zahl der Stellvertreter kurzerhand auf vier erweitert, um auch ihn einzubeziehen. Und weil nun die Frauenquote nicht mehr stimmt, wird noch eine fünfte Stellvertreter-Position geschaffen, für Serpil Midyatli, türkischstämmige Vorsitzende des schleswig-holsteinischen Landesverbandes. Die eigentlich geplante Absenkung der Zahl der Vizechefs von sechs auf drei fällt aus.

Vier Ex-Vorsitzende sind anwesend, Rudolf Scharping, Martin Schulz, Kurt Beck, Franz Müntefering. Die SPD hat einen hohen Chef-Verschleiß. Andrea Nahles, im Frühjahr zermürbt und beleidigt von der internen Kritik zurückgetreten und seitdem privatisiert, ist nicht gekommen. In Berlin bekommt sie an diesem Freitag von vielen Rednern so viel Lob, dass man sich fragt, wieso sie nicht mehr vorne steht. Auch Sigmar Gabriel fehlt. Für ihn ist das wohl besser. Am Freitag hat er sich wieder einmal per Zeitungsbeitrag gemeldet, wie so oft mit Kritik an seinen Nachfolgern und Ratschlägen, wie die SPD weitermachen soll. „Wir brauchen keine Leute, die breitbeinig durch Berlin laufen und alles wissen“, sagt der alte und neue Generalsekretär Lars Klingbeil unter starkem Beifall dazu. Mit Gabriel ist die SPD fertig. Der Zampano-Stil ist gründlich out, angesagt sind jetzt bescheidene, ehrliche Typen, die sich in den Dienst der Partei stellen und nicht der eigenen Karriere. Mindestens, die so tun.

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