Analyse: Die Macht kleiner Gewerkschaften

Berlin (dpa) - Für unzählige Passagiere ist es eine Geduldsprobe, die Fluggesellschaften kostet es eine Stange Geld. Der Streik auf dem größten deutschen Flughafen in Frankfurt sollte nach dem Willen der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) den Luftverkehr am Donnerstag möglichst stark behindern.

Dass dazu nicht einmal 200 Beschäftigte der Verkehrslenkung am Boden nötig sind, erzürnt nicht nur den Flughafenbetreiber Fraport und die Airlines, sondern wirft aufs Neue die Frage nach den Grenzen des Streikrechts auf.

Darf eine kleine Arbeitnehmergruppe für eigene Interessen ein komplexes Verkehrsgefüge erschüttern, nur weil sie an den Schalthebeln sitzt? Kann man das per Gesetz verhindern? Die Arbeitgeber sind dafür, die DGB-Gewerkschaften sehen das Vorhaben inzwischen sehr skeptisch. Von einer gemeinsamen Initiative mit den Arbeitgeberverbänden aus dem Jahre 2010 haben sie Abstand genommen. Fraglich ist außerdem, ob ein Gesetz, das den Grundsatz „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ festschriebe, einer Überprüfung des Verfassungsgerichts standhielte.

Der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport nennt das Verhalten der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) Erpressung. Der Präsident des Branchenverbandes BDL, Klaus-Peter Siegloch, sagt, die Beschäftigten der Vorfeld-Aufsicht führten „das Streikrecht ad absurdum“. „Die Minigruppe nimmt Zehntausende Fluggäste für ihre Tarifforderungen in eine Art Geiselhaft.“

Ähnliche Vorwürfe waren schon bei Tarifkonflikten mit Fluglotsen, Piloten, Lokführern und Ärzten zu hören. 2001 war es die Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit, die erstmals der Lufthansa die Stirn bot und zwölf Prozent mehr Grundgehalt durchsetzte. 2007/2008 trug die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) einen zermürbenden Tarifkonflikt mit der Deutschen Bahn aus.

Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sieht sich durch den Flughafen-Tarifstreit in seiner Forderung bestätigt: Eine gesetzliche Regelung zur Wahrung der Tarifeinheit stehe „mit hoher Priorität auf der Tagesordnung“, sagte Hundt. Er bedauere es sehr, dass sich die Bundesregierung bislang dazu nicht habe durchringen können.

Die Regierung tut sich auch schwer damit, weil ein solches Gesetz Artikel 9 des Grundgesetzes berührte. Darin wird unter anderem die Bildung von Gewerkschaften (und Arbeitgeberverbänden) „für jedermann und für alle Berufe gewährleistet“ - und den Arbeitnehmervertretungen zugleich ein Streikrecht einräumt.

Im Juni 2010 war das Bundesarbeitsgericht von dem Grundsatz abgerückt, wonach in einem Betrieb ein Tarifvertrag gelten soll. Er sei mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Artikel 9) unvereinbar, urteilten die Richter. Ein Klinikarzt, Mitglied des Marburger Bundes, hatte auf Zahlung eines Urlaubsaufschlags geklagt, der mit seiner Ärztegewerkschaft, aber nicht mit der größeren Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vereinbart worden war.

Verdi machte sich zunächst auch für ein Gesetz pro Tarifeinheit stark. „Die Mehrheit unserer Mitglieder hat das aber kritisch gesehen“, berichtet Gewerkschaftssprecher Jan Jurczyk. „Sie befürchten in diesem Fall Einschränkungen des Streikrechts.“ Deshalb ließen Verdi und dann auch der DGB das Projekt wieder fallen.

Der Eindruck, dass die Spartengewerkschaften besonders viele Streiktage erzeugten, sei jedenfalls falsch, sagt Jurczyk. Im europäischen Vergleich liege Deutschland bei den Ausfallzeiten durch Streiks im unteren Drittel. Die kleinen Gewerkschaften „erschüttern den Wirtschaftsstandort Deutschland gewiss nicht“.

Eine Berufsgruppe, die in Frankfurt die streikenden Vorfeldkontrolleure ersetzen könnte, sind die Fluglotsen. Doch wenn Fraport diesen Schritt ginge, droht ein Konter der GdF: „Wir hätten dann das Recht, die Fluglotsen zu einem Solidaritätsstreik aufzurufen“, sagt Verhandlungsführer Dirk Vogelsang. „Und dann ginge auf dem Flughafen ganz bestimmt nichts mehr.“

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