Roman Herzog: „Ich habe Drohbriefe bekommen“

Interview: Alt-Bundespräsident Roman Herzog verteidigt seine umstrittenen Äußerungen zur „Rentner-Demokratie“. Von Anfeindungen der Altersgenossen lässt er sich nicht beirren.

Herr Herzog, mit Ihrer Warnung vor einer "Rentner-Demokratie" haben Sie eine hitzige Debatte ausgelöst. Überrascht Sie das Echo?

Herzog: Es hat mich deshalb überrascht, weil ich nicht der Erste bin, der eine solche Entwicklung vorausgesagt hat. Es ging mir nicht darum, die einen gegen die anderen aufzuhetzen.

Sie haben also nichts zurückzunehmen?

Herzog: Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag. 1957 hat die junge Generation den Alten die Finanzierung der Renten versprochen. 2008 sollten die Älteren den Jüngeren versprechen, die eigenen Renten so zu gestalten, dass für die junge Generation noch etwas übrig bleibt.

Sie beklagen mangelnde politische Führung?

Herzog: Ja. Wenn in einer Regierung monatelang über Mindestlöhne gestritten wird und eine Renten-Erhöhung praktisch über Nacht beschlossen wird, dann frage ich mich: Ist das Angst vor der Macht der Rentner?

Gab es Drohbriefe oder Anfeindungen gegen Sie?

Herzog: Ja, das bleibt nicht aus. Aber das bringt mich nicht davon ab, auf ein großes Problem hinzuweisen. Aber ich bekomme auch viele Zuschriften von jüngeren Leuten, die sich dafür bedanken, dass ich ihre Sorgen offen anspreche.

Kanzlerin Merkel sagte, sie "halte nichts davon, Jung gegen Alt aufzuscheuchen und aufzuhetzen". Fühlen Sie sich richtig verstanden?

Herzog: Vermutlich hat die Bundeskanzlerin das Interview nicht selbst gelesen, sondern nur lesen lassen.

Sie haben gesagt: "Die Älteren werden immer mehr, und alle Parteien nehmen überproportional Rücksicht auf sie. Das könnte am Ende in die Richtung gehen, dass die Älteren die Jüngeren ausplündern." Würden Sie weiter von einer "Ausplünderung" sprechen?

Herzog: Ich will es so formulieren: Ich habe noch nie erlebt, dass eine vorhandene absolute Mehrheit nicht eingesetzt wurde. Deshalb müssen wir heute über das Thema diskutieren.

Was läuft falsch?

Herzog: Dass dies alles in einer Großen Koalition schwierig ist, sieht jeder ein. Doch das zum Teil ohrenbetäubende Geschrei ist unnötig. Es verunsichert die Menschen, die zu Recht politische Führung erwarten.

Der amtierende Bundespräsident Horst Köhler fordert eine neue Reform-Agenda 2020. Hat er Recht?

Herzog: Natürlich! Wir müssen die Reformfähigkeit Deutschlands verbessern. Es muss weitere Veränderungen geben. Die Welt verändert sich schließlich auch.

NRW-Ministerpräsident Rüttgers treibt insbesondere das Thema Altersarmut um. Sie auch?

Herzog: Studien belegen, dass es derzeit leichter ist, ein armes Kind zu finden als einen armen Rentner. Das ist das viel größere Gerechtigkeitsproblem.

Heute bekomme ein Arbeitnehmer, der 35 Jahre lang geringe Beträge eingezahlt hat, mitunter eine Rente, die nicht höher sei als die Grundsicherung, kritisiert Rüttgers. Leistung lohne sich also nicht. Argumentiert er richtig?

Herzog: Das glaube ich in diesem Fall nicht. Richtig ist: Wenn ein Bürger im Alter nicht mehr menschenwürdig leben kann, muss der Staat eingreifen. Allerdings könnte der Staat bei den meisten Arbeitnehmern mit Lohnsteuerpolitik Altersarmut bekämpfen. Der Staat sollte den Menschen mehr Netto vom Brutto geben.

Sie werden sich, wenn Sie es für nötig erachten, wieder zu Wort melden?

Herzog: Ich werde immer älter, und irgendwann hört die Leidenschaft auf.

Aber nicht allzu bald?

Herzog: Ich habe mir da keine Grenzen gesetzt.

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