NRW arbeitet Foltermord auf

Der Landtag will in einem Ausschuss die schreckliche Tat von Siegburg untersuchen.

Düsseldorf. Vier Monate nach dem größten Skandal in der NRW-Justizgeschichte ist nun klar: Der Foltermord von Siegburg wird nicht nur von der Staatsanwaltschaft, sondern auch vom Landtag aufgearbeitet. Auf Antrag der oppositionellen SPD wurde gestern ein Untersuchungsausschuss eingesetzt. Er soll noch vor der Sommerpause seine Arbeit aufnehmen.

In dem Gremium wird es zunächst um die Geschehnisse am 12. November im Jugendstrafvollzug des Siegburger Gefängnisses gehen. Damals war an einem Wochenende der 20-jährige Hermann H. von drei Mithäftlingen über viele Stunde gequält und dann aufgehängt worden. Die entsetzliche Tat offenbarte schwerwiegende Mängel im System. So waren die Häftlinge von Samstagnachmittag bis Sonntagmorgen ohne jede Kontrolle durch Beamte, die Zelle war überbelegt, der als labil geltende Hermann H. mit gewaltbereiten Häftlingen zusammengesperrt.

SPD und Grüne hatten damals schnell den Rücktritt von Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) gefordert. Die hatte Siegburg erst vier Tage nach der Tat besucht, den Angehörigen des Opfers zunächst nicht kondoliert und sich bei der Darstellung der Verhältnisse mehrfach in Widersprüche verstrickt.

In dem Untersuchungsausschuss sollen nun die Hintergründe der Tat, die Verhältnisse in Siegburg und vor allem das Verhalten des Ministeriums aufgearbeitet werden. Darüber hinaus soll es auch um die Verhältnisse im Jugendstrafvollzug landesweit gehen. Immer wieder gibt es Berichte über Missstände auch an anderen Orten, die Anstalten sind überbelegt. Deswegen will das Land nun in Wuppertal ein neues Jugendgefängnis mit 500 Plätzen bauen.

Die SPD wiederholte ihre Vorwürfe gegen Müller-Piepenkötter. "Sie sind persönlich verantwortlich", sagte Rechtspolitiker Thomas Stotko. Die CDU verwies auf die lange SPD-Herrschaft. "Wir haben in 20 Monaten mehr getan als sie in den vielen Jahren zuvor", so Harald Giebels. Der Ausschuss befasst sich mit den Geschehnissen ab 2003, also auch mit den letzten zweieinhalb Jahren unter dem damaligen SPD-Justizminister Wolfgang Gerhards. Ausgenommen ist die Ära von Jochen Dieckmann, bis 2002 Justizminister und später als SPD-Landeschef zurückgetreten.

Kontrolle: Ein Untersuchungsausschuss gilt als schärfste Waffe von Parlamenten, um Missstände aufzudecken. Vor allem die Opposition besitzt mit dem Untersuchungsausschuss ein wirksames Instrument zur Kontrolle der jeweiligen Regierung.

Status: Das Verfahren des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses ähnelt dem vor Gericht. Jedoch gibt es keine Angeklagten: Alle Personen treten als Zeugen oder Sachverständige auf. Sie können die Aussage nur in Ausnahmefällen verweigern. Gegen "unwillige" Zeugen kann der Ausschuss zur Beugehaft greifen. Wie vor Gericht können Falschaussagen mit Haft bestraft werden.

Roswitha Müller-Piepenkötter, Justizministerin in Nordrhein-Westfalen, hat schwere Monate hinter sich und geht nicht leichteren Zeiten entgegen. Der Foltermord in Siegburg, bei dem ein 20-Jähriger von seinen drei Mithäftlingen bestialisch in den Tod getrieben wurde, hat sie im vergangenen Jahr kalt erwischt. Die CDU-Politikerin reagierte damals zögerlich und falsch, unterschätzte die Dimension und bekam die Öffentlichkeitsarbeit nicht in den Griff. In dieser Phase wirkte sie stark verunsichert, kam mit den manchmal unerbittlichen Ritualen des politischen Schlagabtauschs nicht zurecht. Davon hat sie sich bis heute nicht so recht erholt. Auf ihr lastet das Manko der Quereinsteigerin.

Als erfolgreiche Richterin, zuletzt am Oberlandesgericht Düsseldorf, und Landeschefin des Richterbundes ist sie die Konfrontation und den Widerspruch so nicht gewöhnt. Im persönlichen Gespräch wirkt sie sympathisch und offen, auf der offiziellen Bühne ist sie wesentlich zugeknöpfter und oft gehemmt. Nun wird sie in das Haifischbecken eines Untersuchungsausschusses geworfen. Sie braucht gute Nerven und Beratung, um diese Prozedur unbeschadet zu überstehen.

Der Untersuchungsausschuss zum Foltermord im Jugendgefängnis Siegburg ist ebenso richtig wie überfällig. Vier Monate nach dem schrecklichen Ereignis in der Zelle sind immer noch viele Fragen offen, die Hintergründe im Dunkeln. Die SPD hat sich zu diesem Schritt entschlossen. Dieser Schritt ist ihr nicht leicht gefallen, werden doch zwangsläufig auch Versäumnisse aus der eigenen, langen Regentschaft offenbart. Doch dazu gibt es keine Alternative. Das Opfer Hermann H. und die Jugendlichen hinter Gittern haben es verdient, dass die Verhältnisse in den Jugendknästen untersucht werden. Die CDU macht notgedrungen mit. Nur ein Rücktritt der Justizministerin hätte das verhindern können.

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