Kalter Krieg zwischen Paris und Ankara

Frankreich stellt die Leugnung des Völkermords an den Armeniern unter Strafe. Die Türkei tobt.

Paris. Draußen vor dem „Palais de Bourbon“ schwenkten Demonstranten die rote Fahne mit dem Halbmond. Drinnen billigten die Abgeordneten der Nationalversammlung ein Gesetzesvorhaben, das die Beziehungen zwischen Ankara und Paris schwer belastet.

Passiert es auch die zweite Hürde im Senat, wird die Leugnung des türkischen Völkermords an der armenischen Bevölkerung zur Straftat. Der Entwurf sieht ein Jahr Haft und eine Geldstrafe von bis zu 45 000 Euro vor.

Vergangene Woche hatte Ankaras Regierungschef Recep Tayyip Erdogan Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy einen Brief geschickt, in dem er mit „Sanktionen“ drohte.

Der Katalog reicht vom Einfrieren diplomatischer Beziehungen bis hin zu wirtschaftlichen Repressalien. Noch am Donnerstag zog Ankara seinen Botschafter ab und fror die Militärkooperation mit Paris ein.

Bereits vor zehn Jahren hatte Frankreich die Massaker und Vertreibungen, die während der osmanischen Herrschaft 1915/16 an Armeniern begangen wurden, per Gesetz als Völkermord eingestuft. Bei den Konflikten während des Ersten Weltkriegs sind nach armenischer Sicht zwischen einer und anderthalb Millionen Armenier ums Leben gekommen.

Die türkische Seite bestreitet nicht den Tod von Armeniern, doch wird die Opferzahl mit 200 000 bis 300 000 viel niedriger angegeben. Außerdem will Ankara von einem Völkermord nichts wissen. Vielmehr ist von „tragischen Ereignissen“ die Rede.

Sarkozy hatte sich noch im Frühjahr gegen das Genozid-Gesetz ausgesprochen — aus Rücksicht auf die türkische Brückenkopf-Funktion in Nahost. Zwar lehnt er den EU-Beitritt der Türkei ab, sucht aber den Schulterschluss mit dem G-20-Mitglied und Nato-Partner. Schließlich spielt Ankara etwa im Syrien-Konflikt eine Schlüsselrolle.

Was Sarkozy zu dem Sinneswandel bewegt? Wohl wahltaktische Erwägungen. Vier Monate vor der Präsidentenwahl scheint ihm aufzugehen, wie wichtig die Stimmen der rund 500 000 armenisch-stämmigen Franzosen für seine gefährdete Wiederwahl sein könnten. Den Gesetzesentwurf eingebracht hat übrigens die konservative Abgeordnete Valérie Boyer aus Marseille — einer Stadt mit einer starken armenisch-stämmigen Gemeinde.

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