Sperma aus der Retorte

Forschung: Wissenschaftler aus England haben die weltweit ersten künstlichen Samen erzeugt.

London. Erfolgsgeschichte oder Horrormeldung? Wissenschaftler aus Newcastle haben nach eigenen Angaben weltweit erstmals menschliches Sperma im Labor erzeugt. Britische Medien prophezeien Männern jetzt bereits, dass sie in ihrer biologischen Funktion ausgedient haben.

Ganz so dramatisch will das Forscherteam um Professor Karim Nayernia vom North East England Stem Cell Institute das allerdings nicht verstanden wissen. Ihr erklärtes Ziel ist vielmehr, Männern zu helfen: "Unsere Ergebnisse sind wichtig, denn durch sie verstehen wir die Spermienbildung besser und können so die Ursachen für männliche Unfruchtbarkeit ergründen."

Nayernia hat für seinen wissenschaftlichen Durchbruch fünf Tage alte Stammzellen männlicher Embryonen genommen, die nach einer künstlichen Befruchtung gespendet worden waren. Stammzellen gelten als große Hoffnung der Medizinforschung, da sie, wenn sie mit Organzellen zusammengebracht werden, deren Funktion annehmen und sie reproduzieren können. Zum ersten Mal ist dies nun den Forschern in Newcastle mit Stamm- und menschlichen Spermazellen gelungen. Das Team um Nayernia erklärte, nach einem Monat Reifezeit mobile und voll entwickelte Kunst-Spermien gewonnen zu haben. Zum Beweis haben sie die Entwicklung auf Video dokumentiert.

Die Ergebnisse müssen zwar noch überprüft werden. So haben einige Fortpflanzungsmediziner bereits Zweifel an der Qualität und Lebensfähigkeit des Laborspermas geäußert. Allen Pacey von der Universität Sheffield sagte zum Beispiel, dass es sich lediglich um Spermien im frühen Stadium handle. Weitere Tests seien notwendig, um festzustellen, was die Forscher aus Newcastle wirklich erreicht hätten. Nach Angaben der Forscher um Nayernia wird es noch mindestens fünf Jahre dauern, bis die "Produktionstechnik" perfektioniert sei. Die theoretischen Konsequenzen dieses Durchbruchs sind schon jetzt enorm.

Frauen, die eine künstliche Befruchtung mit Laborsperma wählen, könnten so beispielsweise ein britisches Gesetz umgehen, wonach es Kindern erlaubt ist, ihren biologischen Vater ausfindig zu machen. Eine Schwangerschaft ohne jede biologische oder juristische Beteiligung eines Mannes wäre auf diese Weise möglich.

Im Grunde reicht die Stammzelllinie eines einzigen männlichen Embryos für die unbegrenzte Produktion von Spermazellen. "In der Theorie werden Männer damit entbehrlich", sagte Nayernia, "aber nur, wenn man eine in Größe und Form gleiche Bevölkerung schaffen will - alle hätten ja genetisch denselben männlichen Ursprung." Er betonte, mit den künstlichen Spermien keine Eizellen befruchten zu wollen. "Wir verstehen, dass Menschen Bedenken haben. Aber das heißt nicht, Menschen im Reagenzglas produzieren zu können, und das haben wir auch nicht vor."

Genau diese Fragen überschatteten gestern auch die positiven Aspekte von Nayernias Ergebnissen. "Jetzt wissenschaftlich erwiesen: Männer überflüssig", titelte eine Zeitung, andere sagen den Herren bereits ihren "Untergang" voraus. Manche verglichen die Forscher auch mit Frankenstein, denn der Professor experimentiert zudem mit Hautzellen. Über kurz oder lang könnte es so selbst vollständig unfruchtbaren Männern - etwa nach einer Krebsbehandlung - möglich sein, die biologischen Väter ihrer Kinder zu werden.

Ethische Bedenken äußerte auch Josephine Quintavalle von der Organisation Comment on Reproductive Ethics: "Perfekt lebensfähige Embryonen sind zerstört worden, um Spermien zu erzeugen, deren Gesundheit und Lebensfähigkeit infrage steht."

Hysterie wie auch Hoffnung sind derzeit allerdings stark verfrüht: Britische Gesetze verbieten es (noch), Kunst-Eizellen oder Kunst-Sperma für die medizinische Befruchtung von Frauen zu verwenden. In Großbritannien ist jedes siebtes Paar von Kinderlosigkeit betroffen - bei einem Fünftel dieser Fälle liegt es an den Männern, wenn der Nachwuchs ausbleibt.

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