Todesangst und Schlaflosigkeit

Heute jährt sich der Anschlag auf den Mannschaftsbus von Borussia Dortmund mit drei Bomben. Die perfide Tat sorgte bundesweit für Entsetzen.

Dortmund. Am Ort des Anschlags herrscht längst wieder Idylle. Die Hecke vor dem mondänen Hotel im Dortmunder Süden, in der drei Sprengsätze deponiert waren, ist ein Jahr nach dem Attentat auf das Fußballteam von Borussia Dortmund wieder dicht zugewachsen. Und doch bekommt mancher BVB-Profi gelegentlich noch immer ein mulmiges Gefühl, wenn der Mannschaftsbus auf dem Weg zum nächsten Heimspiel die Stelle passiert. Als Zeuge vor dem Dortmunder Landgericht räumte Torhüter Roman Weidenfeller unlängst ein, noch heute psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen: „Der Vorfall hat mein Leben verändert. Die Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen.“

Roman Wiedenfeller, Torwart, über den Anschlag auf den Mannschaftsbus.

Todesangst und Schlaflosigkeit
Foto: dpa

Der Prozess gegen den mutmaßlichen Attentäter Sergej W., der am 21. Dezember begann, weckt bei allen Beteiligten Erinnerungen. „Das war schon wieder weit weg. Aber mit den Aussagen sind die Ereignisse wieder näher gekommen. Aber es geht nichts anders, wir müssen das irgendwie verarbeiten“, sagte BVB-Sportdirektor Michael Zorc.

Freimütig sprachen diverse Profis in den vergangenen Tagen vor Gericht über Beklemmungen und Schlaflosigkeit. Vor allem der beim Anschlag am Arm verletzte und mittlerweile nach Spanien gewechselte Marc Bartra gewährte einen tiefen Blick in sein Innenleben: „Ich hatte Todesangst. Ich fürchtete, meine Familie nie wiederzusehen.“

Nur mit viel Glück entgingen die meisten Bus-Insassen am 11. April 2017 bei der Abfahrt zum Champions-League-Spiel gegen AS Monaco schweren Verletzungen, als fingerlange Metallbolzen nach der Detonation von drei Bomben einige Scheiben zerschlugen. Fieberhaft wurde ermittelt. Waren es wirklich Islamisten? Oder Linksextreme, militante Fußballfans oder Rechte? Doch für die perfide Tat gab es weder religiöse noch politische Beweggründe. Vielmehr ging es offensichtlich um Habgier.

Das angebliche Motiv des vermeintlichen Täters Sergej W., der viel Geld auf einen durch den Anschlag verursachten Kursverlust der BVB-Aktie gesetzt haben soll, macht die Tat zu einem beispiellosen Verbrechen in der deutschen Kriminalgeschichte.

Auch innerhalb des Vereins wirkte das Geschehen lange nach. Einen folgenschweren Effekt hatte das Attentat vor allem auf das Verhältnis zwischen Trainer und Vorstand. Die Frage, ob das Spiel gegen Monaco bereits am nächsten Tag hätte nachgeholt werden dürfen, führte zu einem öffentlich ausgetragenen Disput zwischen Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke und Thomas Tuchel.

Selbst der Pokalsieg in Berlin gegen Frankfurt konnte die Wogen nicht glätten. Drei Tage später verkündeten beide Seiten die Trennung. In seiner Zeugenaussage vor wenigen Tagen machte Tuchel den Anschlag mitverantwortlich für seinen Weggang aus Dortmund. „Es gab dadurch einen großen Dissens zwischen mir und Aki Watzke“, sagt der 44-Jährige vor Gericht. „Der größte Dissens war wahrscheinlich, dass ich im Bus gesessen habe und er nicht.“

Dass die Mannschaft die in aller Eile nachgeholte Viertelfinal-Partie in der Königsklasse gegen Monaco mit 2:3 verlor, verwunderte angesichts der emotionalen Ausnahmesituation niemanden. Nach Meinung von Watzke war die von der UEFA forcierte und von weiten Teilen der Mannschaft mitgetragene Entscheidung jedoch folgerichtig: „Wir hatten an diesem Abend und am Tag danach noch alle das Gefühl, dass es sich um einen Terroranschlag handelte. Es ging dann einfach um die Frage, willst du als Gesellschaft ein Zeichen setzen unter der Berücksichtigung, dass du von den Spielern fast Unmenschliches verlangst oder nicht. Das war die eigentliche Botschaft.“

Der einstige BVB-Profi Sven Bender, der im Sommer zum Ligakonkurrenten Bayer Leverkusen gewechselt war, vertritt mittlerweile eine andere Meinung: „Ich glaube, wir haben alle einen großen Fehler gemacht.“

Trotz der emotionalen Aussagen vieler BVB-Profis sieht die UEFA heute keinen Grund, die damalige Entscheidung anzuzweifeln. „Zu unserer Aussage aus dem letzten Jahr können wir nichts hinzufügen“, antwortete der europäische Dachverband auf Anfrage.

Die Vorwürfe von Tuchel hatte die UEFA damals zurückgewiesen. Niemals habe man eine Information erhalten, „die angedeutet hat, dass eines der Teams nicht spielen wollte“. Die Entscheidung sei „in Kooperation und kompletter Zustimmung mit Clubs und Behörden“ getroffen worden.

Was Weidenfeller von solchen Argumenten hält, brachte er vor Gericht deutlich zum Ausdruck: „Aus meiner Sicht ist es immer noch unverständlich, dass man uns nicht einmal einen Moment der Ruhe gegönnt hat. Wir sind doch Menschen und keine Maschinen.“

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