Massive russische Angriffe Selenskyj fürchtet Entvölkerung - USA erwägen laut CNN Lieferung von Mehrfachraketenwerfern

Kiew · Selenskyj fürchtet angesichts massiver Angriffe Russlands eine Entvölkerung des Donbass. Die USA erwägen offenbar, Mehrfachraketenwerfer zu liefern, die Hunderte Kilometer Reichweite haben. Die Entwicklungen in der Ukraine im Überblick.

Die Ukraine befürchtet, dass russische Truppen den Donbass entvölkern wollen.

Die Ukraine befürchtet, dass russische Truppen den Donbass entvölkern wollen.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj befürchtet angesichts der massiven russischen Angriffe im Osten einen weitgehend entvölkerten Donbass. Mit ihrer überlegenen Feuerkraft setzten die angreifenden russischen Truppen am Donnerstag die ukrainischen Verteidiger um die Stadt Sjewjerodonezk unter Druck.

„Die laufende Offensive der Besatzer im Donbass könnte die Region menschenleer machen“, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache in Kiew. Die Städte würden zerstört, die Menschen getötet oder verschleppt. Dies sei „eine offensichtliche Politik des Völkermords“. Freitag ist der 93. Kriegstag. Russland hatte das Nachbarland Ukraine am 24. Februar angegriffen.

Brenzlige Lage für Ukrainer im Osten

Die ukrainische Armee steht im äußersten Osten ihrer Front stark unter Druck. Sjewjerodonezk im Gebiet Luhansk wurde am Donnerstag mit Artillerie und aus der Luft beschossen, wie Gouverneur Serhij Hajdaj mitteilte. Der ukrainische Generalstab teilte mit, der Angriff auf die Stadt und ihren Vorort Boriwske sei aber nicht erfolgreich. Die Militärangaben waren nicht unabhängig überprüfbar. In einem anderen Dorf in der Nähe, in Ustyniwka, habe die russische Seite einen Teilerfolg errungen, hieß es.

Die Großstädte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sind derzeit die äußersten ukrainischen Vorposten im Osten. Kämpfe gibt es aber auch schon im Rückraum dieser Städte, damit drohen ukrainische Truppen abgeriegelt zu werden. Auf der Nordseite dieses möglichen Kessels sei die Stadt Lyman verloren worden, bestätigte Präsidentenberater Olexyj Arestowytsch im ukrainischen Fernsehen. Auf der Südseite gab es Kämpfe um die Orte Komyschuwacha, Nirkowe und Berestowe.

Bei Raketenangriffen auf die ostukrainische Stadt Charkiw seien neun Menschen getötet worden, darunter ein fünf Monate altes Kind mit seinem Vater, sagte Selenskyj. 19 Menschen seien verletzt worden.

Prorussische Separatisten melden Einnahme der Stadt Lyman im Osten der Ukraine

Prorussische Separatisten haben ihre Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Lyman im Osten der Ukraine verkündet. Mit Unterstützung der russischen Streitkräfte hätten sie „die vollständige Kontrolle“ über Lyman erlangt, teilte der Generalstab der Separatisten in der Region Donezk am Freitag im Messengerdienst Telegram mit. Insgesamt hätten die Separatisten „220 Ortschaften befreit“. Lyman ist ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt nordöstlich von Slowjansk und Kramatorsk.

Die Eroberung von Lyman würde einen russischen Vormarsch auf die beiden Städte ermöglichen, die noch unter ukrainischer Kontrolle stehen. Die Ukraine hatte Slowjansk 2014 von den Separatisten zurückerobert. Kramatorsk ist die Hauptstadt des ukrainisch kontrollierten Teils der Region Donezk.

Russland und die Ukraine äußerten sich zunächst nicht zu der gemeldeten Einnahme. Eine unabhängige Überprüfung war nicht möglich. Am Dienstag hatten die Separatisten bereits gemeldet, sie kontrollierten die Hälfte der Stadt.

Selenskyj hält Europäer für zögerlich

In seinem Video fragte der ukrainische Präsident, warum die EU so lange brauche, um ein sechstes Sanktionspaket zu verabschieden. Noch immer verdiene Russland Milliarden mit Energieexporten, noch seien nicht alle russischen Banken sanktioniert. Wie lange müsse die Ukraine darum kämpfen, die notwendigen Waffen zu bekommen, fragte er. „Die Ukraine wird immer ein unabhängiger Staat sein und nicht zerbrechen.“ Die Frage sei, welchen Preis die Ukraine für ihre Freiheit zahlen müsse.

US-Regierung soll Lieferung von Mehrfachraketenwerfern in Erwägung ziehen

Die US-Regierung zieht einem Medienbericht zufolge in Erwägung, fortschrittliche Mehrfachraketenwerfer mit hoher Reichweite in die Ukraine zu schicken. Die in den USA hergestellten Artilleriesysteme MLRS und HIMARS könnten Raketen über Hunderte Kilometer abfeuern, berichtete der Sender CNN am Donnerstag unter Berufung auf mehrere Beamte. Ein neues militärisches Hilfspaket könnte bereits in der kommenden Woche angekündigt werden. Die Ukraine habe um diese Art von Waffen gebeten, hieß es weiter. Allerdings sei die US-Regierung zögerlich gewesen, da befürchtet werde, dass die Ukraine die Raketensysteme für Angriffe auf russisches Gebiet nutzen könnte. Es stelle sich die Frage, ob dies eine russische Vergeltungsmaßnahme zur Folge haben könnte, so CNN.

US-Präsident Joe Biden hatte erst am Wochenende ein neues Milliarden-Hilfspaket der USA für die Ukraine mit einem Volumen von fast 40 Milliarden Dollar (38 Milliarden Euro) in Kraft gesetzt. Aus dem Paket entfällt rund die Hälfte der Gesamtsumme auf den Verteidigungsbereich. Davon sind sechs Milliarden Dollar für direkte militärische Hilfe für die Ukraine vorgesehen. Mit weiteren Milliardenbeträgen sollen unter anderem US-Lagerbestände wieder mit militärischer Ausrüstung aufgefüllt werden, die an die Ukraine geschickt wurde. Die US-Regierung hatte zuvor schon mehrere große Pakete zur Unterstützung der Ukraine auf den Weg gebracht.

Russische Nationalgardisten wollen nicht in den Krieg

Im russischen Nordkaukasus haben 115 Nationalgardisten einen Einsatz im Krieg gegen die Ukraine verweigert. Dies trug ihnen eine Kündigung ein, die von einem Militärgericht in Naltschik für rechtmäßig erklärt wurde. Den Angaben nach hatten die Nationalgardisten aus der Teilrepublik Kabardino-Balkarien sich geweigert, Befehlen zu gehorchen, und waren in ihre Kasernen zurückgekehrt.

USA sehen Schuld an Getreideblockade bei Russland

Die US-Regierung wies Russlands Forderung nach einer Aufhebung der Sanktionen im Gegenzug zu einer Freigabe ukrainischer Getreidevorräte zurück. „Es ist Russland, das aktiv die Ausfuhr von Lebensmitteln aus ukrainischen Häfen blockiert und den Hunger in der Welt vergrößert“, sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, in Washington. In Silos in der Ukraine und auf Schiffen lagere viel Getreide, das wegen der russischen Seeblockade nicht verschifft werden könne. Die Sanktionen würden weder die Ausfuhr noch die notwendigen Geldtransaktionen verhindern.

Nato-Manöver mit künftigen Mitgliedern an der Ostsee im Sommer

Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine findet im Juni unter Führung der USA ein großes multinationales Manöver im Ostseeraum statt. An der jährlichen maritimen Übung „Baltops 22“ werden neben 14 Nato-Staaten wie Deutschland auch die Partnerländer Schweden und Finnland teilnehmen. Das sagte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, John Kirby. Dabei sein sollen 45 Marineeinheiten, 75 Flugzeuge und rund 7000 Soldaten.

Schweden ist dieses Jahr Gastgeber des Manövers, das vom 5. bis 17. Juni geplant ist. Wegen Russlands Einmarsch in die Ukraine haben Schweden und Finnland die Mitgliedschaft in der Nato beantragt. Das Manöver findet bereits seit 1972 regelmäßig im Ostseeraum statt.

Das bringt der Tag

Die Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf die weltweite Energiewirtschaft ist ein Thema der Minister für Klima, Energie und Umwelt der Siebenergruppe wichtiger Industrienationen (G7). Sie beenden am Freitag ihr Treffen in Berlin. Außerdem soll es um den Ausstieg aus der Kohleverstromung gehen.

(dpa/afp)
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