Nord Stream 1 Wie wirkt sich Russlands Gas-Lieferstopp aus?

Durch die Ostsse-Pipeline Nord Stream 1 fließt erneut kein Gas mehr. Welche Folgen hat das für Deutschland? Ein Überblick.

Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1.

Mecklenburg-Vorpommern, Lubmin: Rohrsysteme und Absperrvorrichtungen in der Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1.

Foto: dpa/Jens Büttner

Russland hat die schon seit Monaten stark gedrosselte Gaslieferung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 am frühen Mittwochmorgen wie angekündigt gestoppt. Abgesehen von kleineren zwischenzeitlichen Schwankungen kam laut Daten der Website der Nord Stream AG seit dem frühen Mittwochmorgen kein Gas mehr in Deutschland an. Am Mittwochmorgen teilte der russische Staatskonzern Gazprom im Nachrichtenkanal Telegram mit, „die Versorgung über Nord Stream wurde komplett eingestellt“. Es begännen planmäßige Wartungsarbeiten an einer Kompressorstation. Gazprom hatte zuvor angekündigt, dass die Lieferung vom 31. August bis zum 2. September technisch bedingt eingestellt werde.

Zweifel an Grund für Lieferstopp - Gazprom mit Rekordgewinn

Laut Gazprom muss die einzig noch verbliebene Turbine in einer der Pipeline vorgelagerten Kompressorstation gewartet werden. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte hingegen gesagt, die Wartungsarbeiten seien technisch nicht nachvollziehbar. Auf Twitter setzte er das Wort Wartung am Mittwochmorgen in Anführungszeichen.

Trotz westlicher Sanktionen hat Gazprom im ersten Halbjahr nach eigenen Angaben einen Rekordgewinn eingefahren. Es sei ein Reingewinn von 2,5 Billionen Rubel erzielt worden - das sind umgerechnet 46,5 Milliarden Euro. Der Staatskonzern verwies via Telegram darauf, dass das Ergebnis trotz Strafmaßnahmen wegen des Ukraine-Kriegs gegen Russland und eines „ungünstigen Umfelds“ erzielt worden sei.

Mit dem Rekordgewinn will Gazprom seine Pipelineprojekte nach China ausbauen. Das sagte Gazprom-Chef Alexej Miller am Mittwoch während einer Telefonkonferenz der Nachrichtenagentur Interfax zufolge. China nimmt bisher nur einen Bruchteil der russischen Gasexporte ab. Auch deswegen fackelt Russland die Gasmengen ab, die es nicht nach Europa liefert. Das Pipelinesystem ist Richtung Asien noch kaum entwickelt.

Eine Wiederaufnahme der Lieferung gilt durchaus als möglich

Kremlsprecher Dmitri Peskow hat am Dienstag noch einmal versichert, dass Russland ein zuverlässiger Lieferant und gewillt sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Derzeitige Lieferkürzungen seien technisch begründet und hingen mit Sanktionen des Westens zusammen. Zweifel an der Begründung waren unter anderem von der Bundesregierung gekommen. Zuletzt kamen nur noch etwa 20 Prozent der maximal möglichen Menge über die Leitung.

Es gilt zumindest als wahrscheinlich, dass das Gas ab dem 3. September wieder fließt. Nach der letzten Abschaltung wegen Wartungsarbeiten im Juli hat Gazprom anschließend auch den Transit wieder aufgenommen. Das unabhängige Internet-Medium „The Bell“ erklärte schon damals die dahinter stehende Logik damit, dass der Kreml anderenfalls nicht mehr mit weiteren Kürzungen drohen könne.

Auch die zuletzt hohen Erlöse, die dem russischen Haushalt zugute kommen, sprechen gegen eine völlige Abkapselung vom europäischen Markt. Auch wegen der fehlenden Infrastruktur, um im großen Umfang in andere Märkte zu liefern. Von den 720 Milliarden Kubikmeter, die Russland fördert, gehen gut 200 in den Export, davon 130 in die EU.

Nächster Lieferstopp im Oktober möglich - Speicher füllen sich

Zwar hat Gazprom bislang noch keinen neuen Termin für die nächste Abschaltung genannt. Doch laut dem Konzern muss die letzte verbliebene Turbine in der entscheidenden Kompressorstation alle 1000 Arbeitsstunden gewartet werden. Damit dürfte Mitte Oktober der nächste Stopp anstehen.

Die Speicherbetreiber rechnen damit, dass auch ohne russisches Gas weiter Erdgas in Deutschland eingespeichert werden kann, gegebenenfalls in leicht reduziertem Umfang. Laut Branchenverband Initiative Energien Speichern (INES) beträgt die tägliche Speichermenge derzeit ein Mehrfaches dessen, was zuletzt durch die Ostseepipeline nach Deutschland kam.

In seinem Tweet schrieb Müller, Deutschland sei auf die neue Wartung besser vorbereitet. Die Gasspeicher seien zu fast 85 Prozent gefüllt. Dank Belgien, den Niederlanden und Norwegen und bald auch Frankreich fließe weiter Gas. Zudem müsse man weiter Gas sparen.

Die EU hat ihr Gasspeicherziel zwei Monate im Voraus erreicht. Laut Daten der europäischen Gasspeicher-Betreiber waren die europäischen Reserven am Mittwoch zu 80,1 Prozent voll. Die Europäische Union hatte ein Gesetz erlassen, wonach die Reservoirs in diesem Jahr bis zum 1. November zu 80 Prozent gefüllt sein müssen.

In Deutschland gilt, dass die Speicher am 1. Oktober zu mindestens 85 Prozent und am 1. November zu mindestens 95 Prozent voll sein sollen.

Entwicklung der Gas-Großhandelspreise offen

Gasmarktexperte Heiko Lohmann vom Energieinformationsdienst Energate rechnet nicht damit, dass sich die Wartungsarbeiten noch groß auswirken werden. Als die Wartung angekündigt wurde, seien die Preise nach oben gegangen. Daher sei die Wartung schon „eingepreist“. Er geht davon aus, dass die Preise wieder nach oben gehen, wenn die Lieferungen nicht wiederaufgenommen werden. Umgekehrt sieht er noch „Luft nach unten“, sollten die Lieferungen fortgesetzt werden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hat sich skeptisch zu einem Gaspreisdeckel für den Grundbedarf geäußert, der die Bürger angesichts explodierender Energiekosten entlasten könnte. „Es ist ein Modell, das wir seit längerem in der Prüfung haben und das ich überhaupt nicht ausschließen will“, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch nach der Kabinettsklausur in Schloss Meseberg nördlich von Berlin. Man müsse aber politisch entscheiden, ob das Modell hinsichtlich der Kosten und der sozialpolitischen Zielgenauigkeit besser sei als andere Entlastungsmaßnahmen.

Die Maschinenbaubranche in Deutschland schlägt angesichts der hochgeschossenen Energiepreise Alarm. „Zahlreiche Unternehmen haben akute Probleme, neue Energieverträge für Strom und Gas angeboten zu bekommen oder abschließen zu können“, sagte VDMA-Präsident Karl Haeusgen am Mittwoch. Anders als im Privatkundenbereich gebe es für Unternehmen keine zwingende Grundversorgung durch Energieanbieter.

(dpa)
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