Eklat beim Deutschen Fernsehpreis: „Nicht diesen Blödsinn“

Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki verweigert die Annahme des Preises für sein Lebenswerk.

Köln. Als er auf die Bühne musste, war Marcel Reich-Ranicki schon genervt. Bevor der Literaturkritiker mit seiner Rede anfing, guckte er auf die Uhr: Es war schon recht spät. Und dann legte er los.

Der 88-Jährige weigerte sich, den Ehrenpreis für sein Lebenswerk anzunehmen. "Ganz offen gesagt, ich nehme den Preis nicht an", sagte er in grantelndem Ton bei der Verleihung des Deutschen Fernsehpreises am Samstagabend in Köln. (Die Aufzeichnung wurde Sonntag Abend im ZDF gezeigt.) "Es ist schlimm, dass ich das erleben musste."

Er habe viele schöne Fernsehabende, zum Beispiel bei Arte, verbracht. "Aber nicht diesen Blödsinn." Die drei Stunden in Köln seien "überflüssig" gewesen. Auch wenn er eher an der Reihe gewesen wäre, hätte er diesen Preis abgelehnt und hätte - wenn damit Geld verbunden gewesen wäre - den Betrag nicht angenommen.

Schließlich nahm TV-Produzentin Katharina Trebitsch, die Reich-Ranickis Biografie derzeit für die ARD verfilmt, den Plexiglas-Obelisken in die Hand. Danach ließ sich Reich-Ranicki gleich nach Hause fahren.

Gottschalk sagte nach der Sendung, er habe noch während der Gala im Kölner Coloneum die Idee gehabt, die Ehrung für Reich-Ranicki entgegen dem Ablaufplan vorzuziehen, weil er gemerkt habe, dass der Literaturkritiker unruhig wurde.

Als Gegenleistung dafür, dass Reich-Ranicki den Preis dann doch annehmen sollte, bot ihm Gottschalk an, eine "gemeinsame Sendung mit ihm und einigen TV-Verantwortlichen zu machen". Das ZDF ging gestern sofort auf diesen Vorschlag ein. Schon binnen der nächsten zwei Wochen werde ein Konzept erarbeitet und ein Sendeplatz gesucht, hieß es vom öffentlich-rechtlichen Sender. Wer neben dem Literaturkritiker mitwirken soll, sei noch offen.

ZDF-Intendant Markus Schächter nannte den Auftritt Reich-Ranickis eine "Sternstunde" des Fernsehens, der ehemalige RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma bezeichnete das Geschehen als "pure Comedy", ZDF-Talker und -Entertainer Markus Lanz ordnete das unter den 1500 Gästen für Aufregung sorgende Ereignis als "Folklore" ein.

Der Eklat offenbart nach Ansicht des Deutschen Kulturrates auch einen Zielkonflikt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der seit langem schon in der Kritik stehe. "Auf der einen Seite wird ihm eine inhaltliche Verflachung vorgeworfen und kritisiert, dass er zu wenig Kultursendungen ausstrahlt", meinte der Geschäftsführer der Spitzenorganisation der Bundeskulturverbände, Olaf Zimmermann. "Auf der anderen Seite wird der Vorwurf erhoben, er erreiche schon längst nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung und von daher sei die Gebührenfinanzierung mittelfristig mit großen Fragezeichen zu versehen. Über diesen vermeintlichen Zielkonflikt muss endlich offensiv debattiert werden." Die Weigerung Reich-Ranickis, den Fernsehpreis entgegen zu nehmen, "könnte die dringend notwendige Diskussion auslösen".

Selbst Thomas Gottschalk zeigte Verständnis für die Haltung des Literaturkritikers. "Wenn er eine halbe Stunde lang eine wild gewordene Horde Teenager sieht, Atze Schröder in einer weißen Paradeuniform, Richterin Salesch und zwei Köche mit idiotischen Texten erleben muss, ist es für ihn in der Tat konsequent zu entscheiden: Ich habe hier nichts verloren", sagte Gottschalk der Süddeutschen Zeitung.

Das ZDF wolle noch in dieser Woche eine Sendung mit dem Literaturkritiker über die Qualität des Fernsehens anbieten. "Wir wollen das Gespräch so schnell wie möglich aufzeichnen und noch in dieser Woche senden", sagte Gottschalk. Reich-Ranicki habe bereits zugesagt.

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