Der Schulranzen - ein Preis- und Kulturschock

Köln (dpa) - Hochsommer ist Hochsaison für Schulranzenkäufer. Unerfahrene können sich dabei auf eine böse Überraschung gefasst machen: Die Ranzen sind teuer. Für ein Markenmodell ist man schnell 200 Euro los.

Einige Paten und Freunde kommen da schnell mit dem Rat, man müsse den Markenterror ja nicht mitmachen.

Das stimmt natürlich. Aber leider werden die meisten Eltern von ihren Kindern anders erzogen. Die Kinder wollen die überteuerten Ranzen. Un-be-dingt. Obwohl die Zahl der Schulkinder sinkt, steigen die Umsätze „im hochpreisigen Segment“, wie der Hersteller Hama („Step by Step“) bestätigt. Die Pressesprecherin: „Der erste Schultag ist für Kinder und Eltern ein wichtiges Ereignis, an dem Eltern gerne bereit sind, Geld auszugeben, um den Kindern ihren Wunschschulranzen zu kaufen.“ Sieh an, „gerne bereit“. Es gibt sogar schon Modelle auf Rädern, die man wie einen Koffer aus der Business Class hinter sich herziehen kann. Zumindest solange es nicht schneit. Aber bei erschwerten Witterungsverhältnissen lassen sich die Kofferträger unter den ABC-Schützen sowieso zur Schule chauffieren.

„Die Ranzen sind auf dem Schulhof ungefähr das, was für den Vater sein Auto ist“, erläutert der Pädagoge Prof. Volker Ladenthin von der Universität Bonn. „Im Grunde spiegeln sich hier die gesellschaftlichen Verhältnisse. Als einzelner kann man sich dem kaum entgegenstellen.“

Und doch hat er zwei Empfehlungen für alle Ranzenträger-Sponsoren, die sich dem Gruppendruck nicht beugen wollen: „Die eine Empfehlung ist, etwas zu finden, was originell ist, was vielleicht eine Eigenheit hat, so dass Kinder sich dadurch anders profilieren können, um dieses Spiel um Geld nicht mitzumachen.“ Bei Sechsjährigen sei so etwas noch denkbar. Die zweite Empfehlung: Vorab einen Elternabend mit der Klassenlehrerin organisieren und eine gemeinsame Linie festlegen. Klingt gut. Aber jeder, der schon mal einem Elternabend beigewohnt hat, weiß, dass sich die Suche nach der gemeinsamen Linie schon bei Fragen wie Kleiderhakenfarbe oder Referendars-Abschiedsgeschenk-Beitrag als zähes Ringen erweisen kann.

Es droht im übrigen nicht nur der Preisschock, wenn das designierte Schulkind seine Beranzung in Angriff nimmt. (Ja, man spricht in der Branche von „Beranzung“.) Ein Kulturschock ist ebenfalls garantiert. Man muss es doch mal aussprechen: Kinder sind um vieles zu beneiden, aber nicht um ihren guten Geschmack. Zielstrebig greifen die Mädels zum kitschigsten Elfenmotiv und die Knaben zu Formel 1, muskelbepackten Actionhelden und Raubsauriern. Hier alles rosa, dort dunkelblau. Muss man da gegensteuern?

„Kinder in dem Alter haben einfach noch sehr rigide Geschlechterstereotypen“, antwortet Diplom-Psychologin Ilka Wolter von der Freien Universität Berlin. „Sie benötigen klare Informationen, um ihre Identität zu bestätigen, und deshalb wählen sie häufiger sehr stereotype Objekte.“ Kann man nix machen. Ladenthin weist allerdings darauf hin, dass viele Eltern die Rollenklischees auch noch fördern. Oft sei es ihnen gar nicht bewusst. Nach dem Muster: „Welchen von den rosa Ranzen hättest du denn gern?“

Manche Eltern reden sich ein, dass der hochpreisige Ranzen zumindest ein halbes Schülerleben lang halten wird. Und ja, das könnte rein theoretisch so sein. Die Lebenswirklichkeit sieht allerdings so aus, dass spätestens im fünften Schuljahr niemand mehr mit Prinzessin Lillifee und Käpt'n Sharky rumläuft.

Drittklässler Joshua (9) aus Köln bekennt sich momentan zwar noch zu seinem phosphoreszierenden Ranzen mit Schwertwalmotiv, weiß aber schon: „In ungefähr einem Jahr nehme ich eine andere Tasche, eine schwarze oder eine grüne.“ Warum? „Weil die Großen das alle haben. Ich möchte nicht peinlich sein.“

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