Tai Chi: Die Suche nach der inneren Ruhe

Tai Chi verspricht Meditation in Bewegung. Ob und wie das funktioniert soll – hier der Selbstversuch.

Wuppertal. Es ist ruhig. Hier zirpt ein Vogel, da kichert ein Kind. Sonst herrscht Stille im Botanischen Garten. Etwa 60 Menschen stehen auf der Wiese neben dem Elisenturm, haben ihre Handflächen aneinander gepresst und die Augen geschlossen. Sie haben die innere Ruhe gefunden. Bei Tai Chi Chuan gilt es, sich zu entspannen, den Alltag zu vergessen. Wie und ob das möglich ist? Ich habe mich beraten lassen und den Selbstversuch gestartet.

Die Knie leicht gebeugt, die Hände auf den Bauch gelegt. Meine erste Tai Chi-Übung beginnt damit, die eigene Atmung bewusst wahrzunehmen. Ich atme ein, ich atme aus. So intensiv habe ich mich nie damit beschäftigt. Eine angenehm kühle Abendbrise weht mir ins Gesicht. Ich versuche die Augen zu schließen. Mein Brustkorb hebt und senkt sich. Zwei ballspielende Kinder reißen mich aus meiner Konzentration.

Ich bin wieder da, reiße meine Augen auf. Zwei Frauen schlendern an der Wiese vorbei, stellen sich vor unsere Tai-Chi-Gruppe und beobachten unseren Versuch, uns gedanklich an einen anderen Ort zu beamen. Bei mir will es nicht funktionieren. Ich genieße die wunderschöne Aussicht auf den Botanischen Garten. Falls ich heute auf dem Weg zur inneren Ruhe nicht fündig werde, diese Aussicht war es auf jeden Fall wert.

In langsamen, fließenden Bewegungen werden die Arme nun über den Kopf gehoben und wieder fallen gelassen. Immer wieder. Tot geglaubte Muskeln melden sich zurück. Der Kopf wird abwechselnd nach recht und links gedreht. Langsam und kontrolliert. Mein Nacken fühlt sich gut an, der Rücken wird nach einem langen Tag am Schreibtisch endlich mal richtig durchgestreckt. Ich folge der Anweisung meiner "Thai-Chi-Meisterin" und schwinge meine Arme von außen über meinen Kopf und tauche in ein imaginäres Wasserbecken ein. Der Rücken entspannt sich.

Nun wird es komplizierter, Koordination ist gefragt. Der linke Arm beginnt vor, der rechte hinter dem Körper. Gleichzeitig rotieren die Arme nun, wechseln sich in ihren Positionen ab. Erst beim vierten Mal glaube ich, den Bogen raus zu haben. Beim sechsten Mal merke ich, dass es doch ein Trugschluss war. Die Arme werden schwer. Die Teilnehmer sind mit ihren Gedanken ganz bei sich. Jemand hustet, ein Kind lacht. Sonst ist es still. Ich konzentriere mich auf die Übung. Ich habe die Augen geschlossen.

In der zweiten Hälfte der Stunde beginnt das eigentliche Tai Chi - wir lassen die gerade gesammelte Energie fließen, in langsamen, weichen Bewegungen. Erst jetzt erkenne ich, warum Tai Chi eine Kampfkunst sein soll. Die verschiedenen, sogenannten Bilder, die wir formen, erinnern mich an einen Kampfsport in Zeitlupe. "Tai Chi ist Meditation in Bewegung", erklärt mir einer, der es wissen muss - Robert Niederhausen, fortgeschrittener "Tai Chi Jünger". Er ist, ebenso wie die Übungsleiter Ursula und Manfred Mestel und Petra Funda, im Tai Chi Chuan-Verein.

"Ideal zum abschalten und ein perfekter Ausgleich zum stressigen Alltag", schwärmt der 32-Jährige vom "Schattenboxen". Sich einmal auf sich selbst zu konzentrieren, noch dazu vor so toller Kulisse - das solle sich jeder gönnen. Auch wenn es manchmal mehr Versuche brauche, auf dem Weg zur inneren Ruhe und Ausgeglichenheit. Wie Recht er doch hat.

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