Lerncoach: „Das Gehirn hat eigentlich keine Ruhe mehr“

Frau Staab, ist das Smartphone wirklich Schuld daran sein, wenn sich Kinder heute in der Schule schwer konzentrieren können?

Kärtchen, Stoppuhr, Zielbändchen: Mechthild Staab hat die Hilfsmittel vor sich ausgebreitet, die sie beim Lerncoaching einsetzt. Manchmal ist übermäßige Handynutzung die Ursache für Konzentrationsstörungen.

Kärtchen, Stoppuhr, Zielbändchen: Mechthild Staab hat die Hilfsmittel vor sich ausgebreitet, die sie beim Lerncoaching einsetzt. Manchmal ist übermäßige Handynutzung die Ursache für Konzentrationsstörungen.

Foto: Fischer, Andreas (f22)

Mechthild Staab: Wir haben dazu noch keine Langzeiterfahrungen. Aber es gibt Tendenzen. Was man sagen kann: In der Medien-Studie „Blikk“ haben Kinderärzte einen Zusammenhang feststellen können zwischen Sprachentwicklungsstörungen und der Nutzungsdauer digitaler Medien. Auch Lese- und Rechtschreibschwächen sowie Aufmerksamkeitsschwierigkeiten sind in dem Zusammenhang aufgetreten.

Was macht die ständige Smartphone-Nutzung so gefährlich?

Staab: Das ist eine Frage der Dosis. Ich bin letztens durch die Stadt gegangen und habe ein Kleinkind gesehen, das im Kinderbuggy mit einem Smartphone hantiert hat. Wenn wir eine solche frühe und intensive Nutzung zulassen, kann das Folgen für das Gehirn haben.

Inwiefern?

Staab: Das Gehirn hat eigentlich keine Ruhe mehr und ist durch das Handy in ständiger Alarmbereitschaft. Man spricht bei den Betroffenen von „Stimulus-Junkies“. Kinder, die schon früh dauerhaft dem Smartphone ausgesetzt sind, haben später unter Umständen Schwierigkeiten, Störsignale auszublenden.

Vor zehn Jahren hätten wir uns wahrscheinlich über das Fernsehen als Konzentrations-Störer unterhalten. Was macht das Smartphone so besonders?

Staab: Wenn ich immer sofort eine Antwort geben muss, bekomme ich Schwierigkeiten, Reaktionen abzuwarten. Kindern fällt es schwerer, Belohnungen abzuwarten.

Kann das Handy sogar zum Störfaktor werden, wenn es nur in Reichweite liegt?
Staab: Auf alle Fälle. Das Telefon kann sich ja jederzeit melden. Man nennt das den Sägeblatt-Effekt. Jedes Mal, wenn ich aus der Konzentration rausgerissen werde, brauche ich wieder erneut eine gewisse Zeit, bis ich wieder dort bin, wo ich vorher war. Daher empfehle ich, das Smartphone beim Lernen einfach in einen anderen Raum zu legen. Jugendliche können sich ja auch einfach mal bei ihren Freunden abmelden und sagen: Die nächsten zwei Stunden bin ich nicht zu erreichen. Das nimmt den Druck, immer online sein zu müssen.

Und danach kann man ja wieder zum Handy greifen. . .

Staab: Besser nicht. Wer sich direkt nach dem Lernen zwei Stunden intensiv mit dem Smartphone beschäftigt, vergisst wieder vieles. Das Gehirn braucht eigentlich Ruhe, um sich etwas einzuprägen. Perfekt wäre ein Spaziergang im Wald oder sogar nach dem Lernen direkt zu schlafen.

Was können Eltern machen, die bemerken, dass die exzessive Smartphone-Nutzung dem Lernverhalten des Kindes schadet?

Staab: Man kann zusammen Vereinbarungen treffen. Zum Beispiel: Beim Essen hat das Smartphone nichts zu suchen. Oder bei den Hausaufgaben. Es ist generell wichtig, Lernzeit und Freizeit zu trennen. Wer lernt und dabei gleichzeitig Nachrichten über Whatsapp schreibt, macht nichts richtig — weder lernen, noch entspannen.

Also kein Verbot, sondern eine maßvolle Nutzung?

Staab: Ja, die Dosierung muss stimmen. Eltern müssen verstehen: Die virtuelle Welt ist mittlerweile die Verlängerung der normalen Welt. Kinder machen da keinen Unterschied mehr. Man darf auch nicht vergessen, dass es auch gute Lernvideos im Internet gibt. Es ist immer die Frage: Wie nutzen Kinder das Smartphone?

Kann die Smartphone-Nutzung das Gehirn auch schulen?

Staab: Junge Leute können heute optische Eindrücke schneller verarbeiten. Da bin ich zum Beispiel noch ganz lahm drin. Ich merke das bei Filmen mit schnellen Schnitten. Die sind für mich anstrengender als für meine Kinder. Man sollte neue Medien nicht immer generell verteufeln. So ist zum Beispiel festzustellen, dass Kinder in den 70er Jahren beim Schreiben von Geschichten zwar viel weniger Rechtschreibfehler gemacht haben. Aber heute sind die Geschichten viel kreativer als damals.

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