„Stehen vor Jahrhundertaufgabe“ NRW will Zehntausende Plätze für Ukraine-Flüchtlinge schaffen

Düsseldorf · Millionen Menschen sind vor den russischen Bomben in der Ukraine auf der Flucht. Die Kommunen in NRW suchen fieberhaft nach Unterbringungsmöglichkeiten für Zehntausende Flüchtlinge. Die FDP will dafür auch Tennishallen nutzen.

 NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp will die Kommunen finanziell und organisatorisch unterstützen.

NRW-Flüchtlingsminister Joachim Stamp will die Kommunen finanziell und organisatorisch unterstützen.

Foto: dpa/Marius Becker

Nordrhein-Westfalen will in den kommenden Wochen Zehntausende zusätzliche Plätze für Flüchtlinge aus der Ukraine schaffen. Flüchtlingsminister Joachim Stamp (FDP) sagte den Kommunen am Mittwoch im Landtag finanzielle und organisatorische Hilfe des Landes bei der Aufnahme von immer mehr Kriegsflüchtlingen zu. Stamp sprach von einer historischen Aufgabe. „Wir erleben eine Jahrhundertkatastrophe“, sagte er.

Schon jetzt stünden 1,6 Milliarden Euro für Flüchtlinge zur Verfügung, sagte der stellvertretende Ministerpräsident in einer Aktuellen Stunde des Landtags. Das Land werde auch darüber hinaus notwendige Mittel bereit stellen. Die CDU/FDP-Regierung prüfe auch „mit Hochdruck“, wie es Städte und Gemeinden bei der Anmietung von Wohnungen unterstützen könne.

Möglicherweise müssten innerhalb von von wenigen Wochen eine Million Betten organisiert werden, sagte Stamp. Schon jetzt seien am Markt kaum noch Betten und Matratzen zu bekommen, und wenn doch, dann zu exorbitanten Preisen. NRW wolle möglichst große Hallen für Puffereinrichtungen akquirieren. Seit Kriegsbeginn habe das Land knapp 10 000 Plätze zusätzlich in den Landeseinrichtungen aktiviert und werde in den nächsten Wochen weitere Zehntausende Plätze schaffen.

Die SPD forderte vom Land, 50 000 zusätzliche Plätze für Ukraine-Flüchtlinge zu schaffen, um die Kommunen zu entlasten. Es gebe kein gesteuertes Verfahren, kritisierte der SPD-Abgeordnete Christian Dahm. Er mahnte einen ressortübergreifenden Krisenstab und eine bessere finanzielle Ausstattung der Kommunen an.

FDP-Fraktionschef Christof Rasche schlug vor, auch Tennishallen zu nutzen, um ukrainische Kriegsflüchtlinge unterzubringen. Schließlich ende die Hallensaison im April, sagte Rasche der Deutschen Presse-Agentur. Auf eine Nutzung im Frühjahr und Sommer könnte in Absprache mit den Tennisverbänden „in dieser besonderen Situation sicherlich verzichtet werden“. Damit könne zudem die Belegung von Schul- und Vereinshallen, die auch im Frühjahr und Sommer genutzt würden, vorerst vermieden werden.

Stamp sagte im Landtag den Kommunen auch bei der Registrierung der angekommenen Menschen Hilfe zu. Schon am Samstag starteten mobile Teams in besonders betroffenen Kommunen, zunächst in Düsseldorf. Darüber hinaus werde eine Vereinfachung der Registrierung derzeit mit dem Bund erörtert.

Niemand könne genau prognostizieren, wie viele Menschen vor dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine flüchten würden. „Klar ist: Es sind Millionen auf der Flucht.“ Der Flüchtlingsstrom könne nur international, auch mit starken Ländern wie den USA, Kanada, Australien oder Japan bewältigt werden könne. „Aber auch mit internationaler Hilfe wird das eine Herkulesaufgabe“, sagte Stamp.

NRW habe bereits mehr Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, als nach dem bundesweiten Verteilschlüssel notwendig gewesen wäre, sagte Stamp. Er schlug für eine strukturierte Verteilung eine unbürokratische Wohnsitzauflage vor. Wer aus der Ukraine einreist, kann ohne Visum 90 bis 180 Tage im Land bleiben.

Angesichts der vielen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine baut NRW seine Kapazitäten für die Aufnahme und Unterbringung aus. Derzeit verfüge das Land NRW über 33 Landesunterkünfte sowie sechs zusätzliche neu geschaffene Einrichtungen, teilte das Familien- und Flüchtlingsministerium auf Anfrage mit. Mit Stand Dienstag seien rund 9000 aus der Ukraine geflüchtete Menschen im Landeseinrichtungen aufgenommen worden. Geschätzt wird die Zahl der in NRW angekommenen Flüchtlinge auf inzwischen weit mehr als 30 000. Nach Worten der Grünen-Abgeordneten Berivan Aymaz sind davon etwa 22 000 in den Kommunen untergebracht.

Zumeist sind es Frauen, Kinder und alte Menschen, die vor den russischen Bombardierungen aus der Ukraine flüchten. Männer im wehrfähigen Alter dürfen das Land nicht verlassen. Viele Kitas und Tagespflegeeinrichtungen wollten Kinder aufnehmen. Aber NRW stehe noch immer vor der Herausforderung der Corona-Pandemie, sagte Stamp. Auch seien viele Kinder und Mütter traumatisiert. Daher würden „Brückenprojekte“ wichtig, in denen auch die Mütter betreut würden. Es werde geprüft, ehemalige Erzieherinnen und Erzieher zurückzugewinnen. Auch im Schulbereich werde zusätzliches Personal rekrutiert - pensionierte und auch ukrainische Lehrkräfte sowie Lehramtsstudenten.

Einige Kommunen stießen jetzt schon an ihre Kapazitätsgrenzen, sagte Grünen-Politikerin Aymaz. Es sei ein landesweiter Plan für die Aufnahme der Geflüchteten notwendig. Die Kommunen gingen bei Betreuung und Unterbringung der Geflüchteten in finanzielle Vorleistung. Sie brauchten Finanzzusagen des Landes. Sie kritisierte, dass die CDU/FDP-Landesregierung den Krisenstab des Landes nicht aktiviere und stattdessen ein unübersichtliches Gefüge unterschiedlicher Stäbe in den Ressorts eingerichtet habe.

Der AfD-Politiker Christin Loose warnte vor einer Ausnutzung der Hilfsbereitschaft und Zerstörung der gesellschaftlichen Akzeptanz für die Aufnahme der Flüchtlinge aus der Ukraine. „Alle Menschen, die unser Asylsystem missbrauchen und unsere Hilfsbereitschaft ausnutzen, müssen unser Land verlassen“, sagte er.

Der NRW-Landtag verurteilte in einer Resolution den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und sicherte den Kriegsflüchtlingen Hilfe zu. Der Landtag setze sich für eine möglichst gute Unterbringung und Versorgung ein, heißt es in der Resolution, mit den Stimmen von CDU, SPD, FDP und Grünen bei Enthaltung der AfD verabschiedet wurde.

(dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort