Manic Street Preachers: Viel Kraft in der Ruhe

Berlin (dpa) - Die Manic Street Preachers waren immer eine Band fürs große Drama. Das begann schon damit, dass ihr Gitarrist Richey James Edwards 1995 urplötzlich verschwand und nie wieder auftauchte.

Auch war der Manics-Sound oft (melo)dramatisch bis zum Anschlag. Insofern überrascht das neue Album mit seiner Ruhe und Anmut.

Nach 20 Jahren im Geschäft schien die Geschichte der Manic Street Preachers eigentlich auserzählt. Vom Postpunk über melodiösen, mit weißem Soul aufgeladenen Britpop bis zum aufrechten Stadionrock hatte sich diese stramm linke Band aus Wales entwickelt - eine neue Platte erwartete man zuletzt nicht mehr mit angehaltenem Atem. Umso unerwarteter nun die Klasse von „Rewind The Film“ (Sony).

Nach all den wütenden, idealistischen Hymnen der Vergangenheit - etwa auf dem Nummer-eins-Großwerk „This Is My Truth Tell Me Yours“ (1998) - lassen es die Manics mit dem Dutzend „Rewind“-Lieder meist gelassener angehen. Und das tut der Atmosphäre dieser Platte hörbar gut. Von der Gereiztheit und Ruppigkeit mancher älterer Songs ist hier kaum noch etwas zu spüren.

Vielmehr entdeckt das längst in den mittleren Jahren angekommene Trio die abgeklärte Zeitlosigkeit des Folk und die Schönheit beatlesker Harmonien. In „Builders Of Routines“ wurde mit Anklängen an „God Only Knows“ gar ein schönes Beach-Boys-Zitat versteckt.

Vor allem: Die Band nimmt sich souverän zurück. So darf im epischen Titelsong der majestätische Bariton von Richard Hawley die ersten Minuten übernehmen, ehe Manics-Sänger James Dean Bradfield gegen Ende eine Strophe beisteuert. Das hübsche Folk-Jazz-Stück „4 Lonely Roads“ singt die junge Cate Le Bon als Gast gar ganz allein.

Die Arrangements mit sanften Akustikgitarren, Klavier, dezenten Bläsern und Streichern sind vergleichsweise reduziert für eine Band, die sonst gern das riesengroße Format wählte und sich dabei auch schon mal verhob. Einige der neuen Songs gehören gerade wegen ihrer Entspanntheit zu den Höhepunkten im Schaffen der Manic Street Preachers: der erwähnte Titelsong, das fröhliche Geschunkel von „Show Me The Wonder“, die intime Ballade „Running Out Of Fantasy“, das treibende Anti-Tory-Pamphlet „30 Year War“ zum Schluss.

Und doch atmet jedes Lied immer noch jene kompromisslose, kraftstrotzende Leidenschaft, für die man diese Briten auch weiter nur bewundern kann. Für eine Band, die mit dem mysteriösen Verschwinden ihres - inzwischen für „vermutlich tot“ erklärten - Frontmannes Edwards eigentlich schon früh am Ende war und dann mit überlebensgroßen Alben als Trio wieder auferstand, ist das keine geringe Leistung.

So folgt dem vermeintlichen Abgesang mit dem gelungenen, aber wenig innovativen „Postcards From A Young Man“ (2010) nun ein überraschend eindrucksvolles weiteres Manics-Kapitel. Falls „Rewind The Film“ den Beginn eines großen Alterswerks dieser Band markieren sollte, kann es den Rockfans nur recht sein.

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