Welfenschatz - NS-Raubgut oder „angemessen bezahlt“?

Berlin (dpa) - Der Umgang mit NS-Raubkunst ist immer schwierig. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz jedoch sieht sich derzeit mit einem Fall konfrontiert, der so heikel und umfangreich ist wie bisher bei ihr noch keiner.

Die Erben jüdischer Kunsthändler erheben Anspruch auf den Welfenschatz, der seit Jahrzehnten Hauptattraktion des Berliner Kunstgewerbemuseums ist. Die wertvollen Goldschmiedearbeiten, einst für den Braunschweiger Dom gesammelt, gelten als einer der wichtigsten Kirchenschätze des Mittelalters. Experten schätzen den Wert auf mindestens 100 Millionen Dollar.

Der Fall schwelt seit fünf Jahren. Doch seit Israels Kulturministerin Limor Livnat kürzlich in einem Brief an ihren Berliner Amtskollegen Bernd Neumann die große Bedeutung des Themas „für das israelische Volk allgemein und die Holocaust-Überlebenden im besonderen“ hervorhob, läuten in Berlin die Alarmglocken. Der Brief sei beantwortet worden, über den Inhalt der Kommunikation auf Regierungsebene könne es aber keine Auskunft geben, heißt es in Neumanns Haus.

Die Preußen-Stiftung, die als eine der größten Kultureinrichtungen weltweit auch Herrin über die Berliner Museen ist, entschloss sich in einem ungewöhnlichen Schritt, über ausgewählte Ergebnisse ihrer langjährigen Recherchen zu informieren. Im Januar wird die sogenannte Limbach-Kommission den Fall behandeln und danach ihre Empfehlung abgeben.

Vier Aktenordner voller Belege, Dokumente und Gutachten hat die Stiftung zusammengetragen. Ihr Fazit: „Die Voraussetzungen für die Herausgabe des Welfenschatzes an die Erben der Kunsthändler Goldschmidt, Hackenbroch, Rosenberg und Rosenbaum liegen nicht vor. Der Verkauf des Welfenschatzes erfolgte nicht NS-verfolgungsbedingt als Zwangsverkauf, auch wenn die Verkäufer NS-verfolgte Juden waren.“

Das durch die genannten Kunsthändler vertretene Konsortium - das ließ sich laut Stiftung durch die Forschung belegen - hatte den Kirchenschatz 1929 von der unter Geldnot leidenden Welfen-Dynastie für 7,5 Millionen Reichsmark angekauft. Angesichts von Inflation und Wirtschaftskrise ließen sich allerdings nur 40 der insgesamt 82 Teile für zusammen 2,5 Millionen verkaufen, die restlichen blieben zunächst liegen. Die beteiligten Kunsthändler mussten wegen der 1933 beginnenden Judenverfolgung zum Teil ins Ausland emigrieren.

Erst im Juni 1935 erwarb der formal noch bestehende Staat Preußen die restliche Hälfte des Schatzes für 4,25 Millionen Reichsmark. Vermittler war die dem NS-Regime nahestehende Dresdner Bank. Insgesamt hätten die Händler einen Verkaufspreis von 6,75 Millionen Reichsmark erzielt - zehn Prozent weniger, als sie selbst einst in das Geschäft gesteckt hatten, rechnet die Stiftung vor.

„Der gezahlte Kaufpreis war angemessen“, so die Schlussfolgerung der Stiftung mit Hinweis auf ihre Recherchen. Die Dokumente belegten auch, dass sowohl die im Ausland als auch die in Deutschland lebenden Verkäufer über diese Mittel frei verfügen konnten. Zudem habe sich der Welfenschatz seit 1930 im sicheren Ausland befunden. Die 42 Teile seien erst nach Kaufpreiszahlung Zug um Zug herausgegeben worden. Mit Gründung der Stiftung 1957 gingen sie in ihr Eigentum über.

Die Bedingungen für eine Rückgabe nach der sogenannten Washingtoner Erklärung von 1998 seien damit nicht gegeben, sagen die Verantwortlichen. Die internationale Vereinbarung sieht vor, dass es in Fällen von NS-Raubkunst „faire und gerechte Lösungen“ mit den Erben geben soll. In Deutschland gilt das nach einer „Handreichung“ von 2001 nicht nur für Kunstschätze, die von den Nazis beschlagnahmt wurden, sondern auch für solche, die unter NS-Druck verkauft werden mussten.

Die Anwälte der Kunsthändler-Erben sehen genau diese Bedingungen erfüllt. „Der damalige Verkauf war kein "normales Geschäft" unter Gleichen, sondern eine erzwungene, manipulierte und machtmissbräuchliche Transaktion, initiiert von Hermann Göring und dem NS-Staat“, sagt der Marburger Rechtsanwalt Markus H. Stötzel, der zusammen mit seinem New Yorker Kollegen Mel Urbach die Erben vertritt.

Die Rechtsanwälte, die auch schon für die Flechtheim-Nachkommen die Rückgabe eines berühmten Kokoschka-Gemäldes erstritten hatten, verweisen unter anderem auf ein Engagement von Reichsmarschall Göring für das Geschäft und den Einsatz von „Strohmännern“, um den Preis zu drücken. „Es handelt sich um einen klaren Fall von Machtmissbrauch - David gegen Goliath, der NS-Staat selbst gegen verfolgte Juden.“

Anders als bei den anderen rund 30 Restitutionsbegehren, die die Preußen-Stiftung bisher erreichten, ließ sich angesichts der konträren Positionen seit 2008 keine Lösung im Gespräch finden. Die Erben-Anwälte haben deshalb die von der früheren Verfassungsgerichtspräsidentin Jutta Limbach geführte Kommission angerufen, die in solchen Fällen berät. Ihre Entscheidung wird mit besonderer Spannung erwartet.

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