Dürer — der Meister und Alleskönner

Das Frankfurter Städel-Museum versammelt mit 280 Werken das gesamte Spektrum der Renaissance-Kunst in Europa.

Frankfurt. Albrecht Dürer (1471-1528) wird allgemein mit den „Betenden Händen“ über Omas Vertiko gleichgesetzt. Klaus Staeck machte das Bildnis von Dürers alter Mutter populär, indem er fragte, ob man dieser Frau ein Zimmer geben würde.

Mit derlei Plattitüden räumt das Städel-Museum in Frankfurt auf. „Dürer ist der deutsche Renaissance-Künstler schlechthin. Er beeinflusste die europäische Renaissancekunst“, sagt Direktor Max Hollein. Jochen Sander, Spezialist der altdeutschen Malerei, bestätigt dieses mit 280 Werken, darunter 200 von Dürer, der Rest von Kollegen.

Der „ganze Dürer“ soll es sein. Sander läutete am Dienstag die Vorstellung der Ausstellung einem erstaunlichen Satz ein: „Dürer war ein Migrantenkind, denn der Vater kam aus Ungarn. Und er war am Aufstieg orientiert.“

Genau wie der Vater, der in die Nürnberger Mittelschicht einheiratete und eine florierende Goldschmiedewerkstatt betrieb, wo Albrecht junior zunächst die Kunst des Gravierens lernte, bevor er mit 15 Jahren in die Malerwerkstatt von Michael Wolgemut eintrat. Dort stürzte er sich auf den Vorlagenfundus von Hans Pleydenwurff, dessen Witwe der Maler Wolgemut geheiratet hatte. An diesem Zeitpunkt beginnt die Ausstellung.

Zwei Dinge lernte der junge Dürer von Pleydenwurff: Die real anmutenden Landschaften und Pflanzen sowie das genaue Porträt. Geradezu versessen war Dürer von den Dingen dieser Welt, den Pokalen, Leuchtern, Seiden und Haarlocken. Er erforschte sich und sein Gegenüber. Mutter Barbara hat auf seinem kostbaren Andachtsbild ein klares, in sich gekehrtes, schönes Antlitz.

Die Augen wirken leicht versonnen. Die kapitale Haube ist liebevoll mit dem schimmernden Zierband wiedergegeben. Ein Zauber scheint über der Frau zu liegen, die 18 Kinder gebar. Er war das Dritte. „Burkhard von Speyer“, „Hieronymus“, „Junger Mann“ oder „Junge Frau“, „Elsbeth Tucher“ (siehe kleines Foto), sie alle waren Menschen der neuen Zeit, keine Bibelzitate.

Dürer war ein großer Erzähler. Wie er im Jabach-Altar den Hiob auf einen Misthaufen setzt, während seine Frau nicht etwa Jauche, sondern reines Wasser über ihm ausgießt. Nur so lässt sich das glanzvolle Rot-Violett des Frauenkleides in Szene setzen. Dürer liebte nichts so sehr wie die Stofflichkeit in Öl.

Nicht alles wurde nach Frankfurt entliehen. Das Selbstporträt blieb in München, „Adam und Eva“ im Prado. Dafür gibt es eine Kopie des ersten Menschenpaares vom Werkstattleiter Hans Baldung Grien, der seinen Herrn und Meister fast perfekt ersetzte. Nur die Hände der Eva sehen ein klein wenig bäuerlich aus.

Dürer war ein Alleskönner, vor allem in der Schwarzen Kunst. Niemand schnitt eine so kraftvolle „Apokalypse“ in Holz, keiner war ein so brillanter Kupferstecher. Die Künstlerkollegen folgten ihm, kopierten und variierten seine Blätter, so dass sich Dürer ernstlich mit dem Copyright auseinandersetzen musste.

Dürer war längst in der Neuzeit angekommen, schuf eine Lehre zur Proportion der menschlichen Gestalt, als er vermutlich an Malaria starb.

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