Grubenretter im Ruhrgebiet: „Ich fühle mich elendig“

Herne (dpa) - Erst wenige Monate ist es her, da hatten die Bergleute aus dem Ruhrgebiet Besuch ihrer Kollegen von der türkischen Grubenwehr, die sich über fortschrittliche Standards in Notfällen informieren wollten.

Grubenretter im Ruhrgebiet: „Ich fühle mich elendig“
Foto: dpa

Jetzt sind es auch diese Rettungskräfte, die nach dem Grubenunglück von Soma die Toten bergen.

„Was die jetzt erleben müssen, ist unvorstellbar. Ich frage mich, wie das im Kopf alles zu verarbeiten ist, wenn man unter schweren Verhältnissen eine Leiche nach der anderen da herausholt“, sagt Metin Aycil, Bergmann seit dem 17 Lebensjahr und „dienstältester Türke bei der Grubenwehr“, wie er selbst sagt.

Der 47-Jährige bildet beim Bergbauunternehmen RAG selbst Bergmänner für die Truppe aus, die bei Bränden und Notfällen unter Tage Leben retten soll. „Man hat die Spezialausbildung und kann jetzt nur hilflos zuschauen“, sagt er mit leiser Stimme. „Ich fühle mich elendig.“

Er glaubt nicht daran, dass aus der Tiefe noch Lebende geborgen werden. Hinzukommt: Er ist in der Türkei geboren. Die Nachricht, dass Bekannte von ihm und seiner Familie gleich Dutzende Angehörige bei dem Unglück verloren haben, bewegt ihn. „Wir sind mit den Herzen bei ihnen.“

Im Ruhrgebiet mit seiner langen Bergbaugeschichte ist die Anteilnahme groß. Wo über Generationen hinweg, Söhne, Väter und Großväter unter Tage gearbeitet haben, werde ein solch tragisches Ereignis besonders aufgenommen, teilte etwa der Gelsenkirchener Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) mit. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) bot in einem Schreiben an den türkischen Botschafter Unterstützung an, schließlich verfüge man über „spezielles Know-How“ im Grubenrettungswesen.

In Herne liegt der Sitz der Grubenwehr-Hauptstelle des Steinkohleunternehmens RAG. Hier, so erklärt der Leiter Georg Bresser, wird schon in der Ausbildung alles dafür getan, die Kumpel auf Notfallszenarien vorzubereiten. Bei Bränden oder Unfällen in den Zechen in Bottrop, Marl oder Ibbenbüren sind sie zur Stelle.

„Die Anforderungen an körperliche und psychische Belastbarkeit sind hoch“, sagt Aycil. Auf dem Übungsgelände zeigt er, wie Retten in der stickigen Enge eines Bergwerks aussehen kann: Auf allen Vieren robbt und klettert er durch ein mit künstlichem Nebel verrauchtes Rohrdickicht. Es ist eng, heiß, man sieht die Hand vor Augen nicht, die 30-Kilo-Ausrüstung, ohne die Atmen nicht möglich wäre, lastet schwer auf seinen Schultern.

Schon nach kurzer Zeit steht dem drahtigen Mann der Schweiß auf der Stirn. „Da unten ist man eingeschlossen und muss sich hundertprozentig auf die Kumpel verlassen können“, weiß er. Alle 600 freiwilligen und 20 hauptamtlichen Mitarbeiter trainieren hier regelmäßig, damit im Ernstfall jeder Handgriff sitzt und jeder weiß, was der andere tut.

Vorsorgemaßnahmen, von denen Aycil glaubt, dass sie in der Türkei bislang zu wenig umgesetzt werden: „Unsere Bibel ist das Planen“, sagt er. Beim Besuch der türkischen Grubenwehrdelegation sei der Eindruck entstanden, die Truppe sei weniger organisiert und diszipliniert als die Männer, die er ausbildet. „Die taten mir leid, weil sie mehr damit beschäftigt sind, Brände zu löschen und Tote zu bergen, als etwas für die Prävention zu tun.“ Dass bald eine Katastrophe dieses Ausmaßes über sie hereinbrechen würde, konnte da noch niemand ahnen.

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