Fernsehen WDR-Format "Ich stelle mich": Ein netter Abend mit der Landesmutter

In aller Stille hat das WDR-Fernsehen am Sonntag um 21.45 Uhr die „Ich stelle mich“-Ausgabe mit Hannelore Kraft versendet, die der Sender am 24. Juli aus dem Programm geworfen hatte.

Hannelore Kraft im Gespräch mit Sandra Maischberger (r) bei „Ich stelle mich“.

Hannelore Kraft im Gespräch mit Sandra Maischberger (r) bei „Ich stelle mich“.

Foto: WDR/Max Kohr

Köln. Nachrichtlich war die Sendung schon am 18. Juli abgefrühstückt: Da verkündete der WDR, dass die Ministerpräsidentin sich bei der Aufzeichnung der Folge erleichtert gezeigt habe, dass zurzeit nur noch wenige Flüchtlinge nach Deutschland kämen. Dazu lieferte Hannelore Kraft dem Sender im Gespräch mit Sandra Maischberger das Zitat, man sei in den Strukturen überfordert gewesen: „Deshalb bin ich schon froh, dass die Grenzen jetzt erstmal dicht sind."

Damit lag der Sender einen Tag lang im bundesweiten Zitate-Ranking für seine Verhältnisse vergleichsweise hoch — und interessierte sich anschließend nicht mehr sonderlich für die Sendung, die am 24. Juli ausgestrahlt werden sollte. Doch dann ereignete sich die deutsche Horror-Woche mit einem Macheten-Angriff, einem Terror-Anschlag und dem rassistischen Amoklauf in München. „Aufgrund des Amoklaufs in München“ beschloss der WDR am Samstagnachmittag vor der Ausstrahlung, die Sendung zu verschieben, „da sie ohne Bezug auf die Ereignisse nicht passend erschien“.

Wer die 60 Minuten gesehen hat, wird diese Begründung kaum nachvollziehen können. In dem Gesprächsverlauf zwischen Kraft und Maischberger gab es exakt nichts, was „ohne Bezug auf die Ereignisse nicht passend“ erschienen wäre — und warum es am Sonntagabend hätte passender sein sollen. Das Problem ist eher der unpassende Umgang des Senders mit dem wiederbelebten Format „Ich stelle mich“, das der legendäre Claus Hinrich Casdorff (1925- 2004) von 1980 bis 1993 prägte. Aufzeichnung und Aktualität vertragen sich selten gut; aber vielleicht spielt das bei einem Sender keine Rolle mehr, der selbst seine Radio-Nachrichten aufgezeichnet sendet (und darüber offensiv seine Hörer belügt).

Im Gespräch mit Kraft ist Sandra Maischberger ein sympathisches Porträt der Landesmutter gelungen, dessen kritische Ansätze allerdings alle versagen. Es lässt noch einmal die groteske Fehleinschätzung von Jürgen Rüttgers (CDU) aufleuchten, es bei Kraft mit einem politischen Leichtgewicht zu tun zu haben. Ein „Duell“ mit dem früheren WAZ-Chefredakteur (derzeit noch Focus) Ulrich Reitz entscheidet Hannelore Kraft mühelos für sich, weil Reitz mehr Meinungs-Produzent als versierter Interviewer ist.

Der Zuschauer erfährt nicht, wie es in die Job-Auffassung einer aus Überzeugung fleißigen Ministerpräsidentin passt, tagelang nicht mit ihrem Apparat zu sprechen. Er lernt stattdessen eine politische Quereinsteigerin kennen, die beschreibt, dass sich ihre Erfahrungen wie Jahresringe um sie gelegt haben. Aufschlussreich ist die Erklärung, warum sie die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker nach der Silvesternacht nicht angerufen habe: „Frau Reker hatte ja so eine Aussage getätigt, und die fand ich nicht gut." Gemeint war die berüchtigte „Armlänge Abstand“.

Wieder einmal muss die Putzfrau Susanne Neumann ran (die inzwischen von Hannelore Kraft in die SPD aufgenommen wurde), um über die soziale Wirklichkeit im Land zu sprechen. Putze Susi hat Kraft einen Hexenbesen mitgebracht und rechnet zum x-ten Mal vor, warum sie nach einem Leben voller Arbeit in der Renten-Armut landen wird. Warum das alle werden, die nicht 45 Beitragsjahre lang einen Stundenlohn von mindestens 11,45 Euro hatten. Dazu könnte Kraft, die in die Politik gegangen ist, um die Welt besser zu machen und sich als ihre größte Leistung in dieser Hinsicht die Durchsetzung des Mindestlohns anrechnet, viel sagen. Aber sie beschränkt sich auf das, was auch Susi Neumann versteht.

Krafts Kritiker werden sich durch diese 60 Minuten in ihrer Kritik bestätigt sehen. Die Ministerpräsidentin jedoch richtet sich an die, denen es lieber ist, dass sie sich im Studio mit ihrer Freundin, der Schauspielerin Mariele Millowitsch, herzt und von gemeinsamen Spiele-Abenden berichtet. Überhaupt habe sie in ihrem großen Freundeskreis wenige Politiker habe. Insgesamt ist ein netter Abend mit der Landesmutter, die Politik für Menschen macht, die eigentlich Politiker nicht gut finden. Das kann man Selbstverzwergung nennen oder einfach sympathisch finden.

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