Porträt: Anklage gegen Spaniens Top-Richter

Baltasar Garzon war einem Korruptionsskandal auf der Spur.

Madrid. Er jagte Diktatoren, Terroristen, Mafiabosse und korrupte Politiker aller Parteien. Wagte es, die Untaten der spanischen Franco-Gewaltherrschaft zu untersuchen und Wiedergutmachung für die vergessenen Opfer des 1975 untergegangenen Regimes zu fordern. Gilt weltweit als Vorreiter bei der Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen etwa in Lateinamerika oder auch im US-Folterlager Guantanamo. Nun sitzt Baltasar Garzon (56), jahrelang berühmtester Untersuchungsrichter Spaniens, selbst auf der Anklagebank — wegen angeblicher Rechtsbeugung. Garzon und Menschenrechtler wittern einen Rachefeldzug der mächtigen Feinde des unbequemen Ermittlers.

„Das ist politische Lynchjustiz“, erregt sich Gaspar Llamazares, Parlamentarier der „Vereinigten Linken“. Er demonstriert mit anderen Promineten, darunter auch Richterkollegen, vor den Türen des Obersten Gerichtshofes Spaniens in der Hauptstadt Madrid. Garzon habe nur seine Pflicht getan, sagt Llamazares. „Er hat gegen die Korruption gekämpft“, gegen das Unrecht, habe versucht, den Opfern von Menschenrechtsverbrechern zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Applaus brandet auf, als Garzon mit grauem, zurückgekämmtem Haar sich einen Weg durch die Menge bahnt.

Garzon, der seit Jahren mit Todesdrohungen und Leibwächtern lebt, sieht sich einer „Hetzjagd“ ausgesetzt: Diese „unerbittliche Verfolgung“, wie er es nennt, begann mit einem seiner letzten Fälle: Der „Operation Gürtel“, mit der er im Jahr 2009 einen der größten Korruptionskandale Spaniens aufdeckte: Im Zentrum steht die konservative Volkspartei des heutigen Regierungchefs Mariano Rajoy. Dutzende prominente Politiker der Konservativen, darunter Bürgermeister, Abgeordnete, ein früherer regionaler Ministerpräsident, hohe Parteifunktionäre sind nach den Ermittlungen verwickelt. Sollen gegen Geld und Gefälligkeiten einem parteinahen Großunternehmer öffentliche Aufträge zugeschustert haben.

Millionen Euro an Schmiergeldern sollen geflossen sein. Auch in belauschten Gesprächen fand die Polizei Belastungsmaterial. Gespräche zwischen Beschuldigten und deren Anwälten wurden abgehört, weil Garzon mutmaßte, dass die Verteidiger Teil des kriminellen Polit-Netzwerks seien. Diese „illegalen“ Lauschaktionen fochten die Anwälte erfolgreich an und konnten so ihren Gegenangriff wegen „Rechtsbeugung“ starten, der in eine Anklage gegen Garzon mündete. Wohlwollend begleitet von Schlachtrufen konservativer Scharfmacher - die auch in der sehr politisierten Justiz sitzen - und welche nun die lang erhoffte Chance sehen, den unbequemen Richter aus dem Weg zu räumen.

So sitzt der frühere Chefermittler, der bereits seit knapp zwei Jahren vom Dienst suspendiert ist, jetzt auf der Anklagebank und muss, wenn die Klage Erfolg hat, mit einem lebenslangen Berufsverbot rechnen. Kommende Woche beginnt dann gleich noch ein zweiter Prozess wegen „Amtsanmaßung“. Weil Garzon unerhörterweise begonnen hatte, die juristisch noch unbewältigte Franco-Diktatur (1939-1975), während der mehr als 100.000 linke Oppositonelle ermordet wurden, juristisch aufzuarbeiten. Die Franco-Verbrechen sind bis heute ein politisches Tabu in Spanien und die Täter durch ein Amnestiegesetz geschützt.

„Ich werde nicht aufgeben“, sagt Garzon, der mit zahlreichen Menschenrechtspreisen geehrt und auch schon für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen wurde. Inzwischen arbeitet der im Ausland als „Tyrannenjäger“ anerkannte Ermittler am Internationalen Gerichtshof in Den Haag und hilft bei der Verfolgung von Menschenrechtsverbrechen überall auf der Welt. Und er versichert: „Ich werde weiterhin jene anklagen, von denen ich glaube, dass sie angeklagt werde müssen“ - notfalls eben auch vom ausländischen Exil aus.

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