Weihnachtsmann für einen Tag

Unterwegs mit Rauschebart, goldenem Buch und rotem Wanst — wie fühlt sich das an? Unser Reporter machte den Praxistest.

Radevormwald. Ob als Vater, Onkel, Opa oder Nachbar — die meisten Männer kommen nicht umhin, mindestens einmal in ihrem Leben in die Rolle des Weihnachtsmannes zu schlüpfen. Mein „erstes Mal“ gehörte sowohl für mich als auch für meine damals vierjährige Nichte nicht zu den Höhepunkten weihnachtlicher Erinnerungen. Nach vergossenen Tränen schien meine Karriere im roten Mantel beendet, bevor sie begonnen hatte.

Heute, fünf Jahre später, will ich es noch mal wissen. Doch diesmal hole ich mir vorher Rat beim Wuppertaler Alleinunterhalter Björn Wagner, der sich seit 1996 immer im Dezember in den Weihnachtsmann verwandelt. Allein am heutigen Heiligabend sorgt er in acht Familien für leuchtende Kinderaugen. 2003 wurde er gar von einem TV-Magazin bei einem Weihnachtsmann-Test zum Sieger gekürt.

Sofort fallen dem Profi Details auf, die ich bei meiner missglückten Rauschebart-Premiere falsch gemacht habe. „Wir klingeln nicht, wir klopfen an der Tür. Wir tragen auch keine Uhr und schon gar keine Jeans unter dem Mantel.“ Alles machbar, denke ich mir. Weil ich nicht noch einmal ein Kind traumatisieren möchte, soll mein Weihnachtsmann-Comeback im Altenheim Haus Thiele stattfinden, in dem ich vor einigen Jahren meinen Zivildienst geleistet habe. „Solange man ihnen Respekt zollt, freuen sich die meisten Älteren über einen Besuch“, unterstützt Björn Wagner meine Idee.

Ohne Uhr und Handy mache ich mich also auf den Weg in die kleine Ortschaft Dahlerau zwischen Radevormwald und Wuppertal. Meinen Rentier-Schlitten lasse ich heute mal stehen und nehme den Bus. Sofort nach dem Einsteigen werde ich von einer Gruppe Jugendlicher mit lautem Gejohle und gezückten Handys begrüßt: „Ey, Weihnachtsmann, lass ma´ Foto machen.“ Ich genieße meine neu gewonnene Aufmerksamkeit, die Fahrt wird zum Egotrip. Sogar bei den Kleinsten komme ich an. Ganz ohne Angst und Tränen sagt mir der fünfjährige Finn in Begleitung seiner Mutter ein Gedicht auf. Irgendwann endet die Busfahrt aber und ich stehe wenig später im Altenheim klopfend an der Tür zum Aufenthaltsraum der dritten Etage. Als ich eintrete, heben selbst kranke Bewohner, die längst in ihrer eigenen Welt leben, ihre Köpfe und nehmen lächelnd von mir Notiz. Mir wird warm ums Herz. Doch das spüre ich kaum, weil es unter der Mütze und dem Bart vor lauter Hitze brodelt.

Während ich Mandarinen an die Senioren verteile und ein frohes Weihnachtsfest wünsche, entdecke ich in der Ecke die 101-jährige Luise Dick, die ich noch aus meiner Zivi-Zeit kenne. „Ich habe Sie sofort an der Stimme erkannt“, sagt sie mir später. „Wir haben ja fast dasselbe Alter.“ Fast eine Stunde bleibe ich im Altenheim. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Nur beim gemeinsamen Weihnachtslieder singen schäme ich mich kurz dafür, als Weihnachtsmann nicht alle Strophen mitsingen zu können. Zum Glück fällt das kaum auf, weil Bewohnerin Brigitte Schiffmann das mit ihrer Stimme ausgleicht. „Ich wäre in meinem Leben auch gern einmal Weihnachtsmann gewesen“,vertraut sie mir an. Seit heute kann ich sie sehr gut verstehen.

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