Ein Vater will nicht still trauern

Am 11. März jährt sich die Bluttat von Winnenden. Hardy Schober verlor damals seine Tochter.

Winnenden. Jana kann ihm niemand zurückgeben. Diese Gewissheit verfolgt Hardy Schober auch ein Jahr nach dem Amoklauf in der Schule seiner Tochter in Winnenden jeden Tag. "Daher bedeutet mir der Jahrestag nichts", sagt der 50-Jährige.

Schobers Tochter Jana (15) starb bei der Bluttat am 11. März vor einem Jahr. An diesem Tag betrat Tim K. zu Beginn der dritten Stunde die Albertville-Realschule. Als Ex-Schüler kannte er sich aus. Binnen sieben Minuten feuerte er 60 Schuss aus der Pistole seines Vaters.

Jana und zwei ihrer Freundinnen waren die ersten Todesopfer. "Jana erlitt einen Kopfschuss. Zwei Stunden hat sie noch gelebt. Sie ist verblutet", sagt Schober. Er erinnert sich an die Lähmung, die ihn übermannte, als ihm die Ärzte im Krankenhaus die Nachricht überbrachten. Am Tattag wusste die Familie Schober stundenlang nicht, wo ihre Tochter ist. Janas Mutter hätte gern früher erfahren, wo die Tochter hingebracht wurde, um sie "noch warm in die Arme nehmen zu können", wie Schober leise hinzufügt.

"Meine Tochter sagte mir bei einem Zwiegespräch am Grab: Papa, mach was, verändere die Welt." Von Rachegedanken will er nichts wissen: "Die lasse ich nicht an mich heran, sonst weiß ich nicht, was passiert." Seine Lebensaufgabe ist das von ihm mitbegründete "Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden" mit einem Büro in der 28.000-Einwohner-Stadt bei Stuttgart.

Das Bündnis fordert unter anderem mehr Sozialarbeiter an Schulen, Verbot von Killerspielen, keine großkalibrigen Waffen mehr in Haushalten. Für sein Engagement gab Schober den Job auf. "Meine Frau war zunächst dagegen. Sie hatte Angst, dass ich mich verrenne." Nun macht sie mit. Für das Ehepaar ist es ein Weg, die Tragödie zu verarbeiten. Janas zwölfjährige Schwester Annabell versucht zu vergessen: "Papa, ich bin auch noch da", hat sie kürzlich gesagt.

Viele in Winnenden können Schober nicht verstehen. Als "Trauer-Terrorist" ist er kürzlich erst beschimpft worden, als er an einem Infostand seines Aktionsbündnisses stand. Winnenden ist seit dem 11. März vor einem Jahr eben nicht nur eine malerische Stadt im Schwabenland, sondern auch deutschlandweites Synonym für eine unfassbare Gewalttat.

Wer heute "Winnenden" sagt, meint auch "Killerspiele" und "Amoklauf". Das wollen viele Einwohner nicht mehr. "Sie wollen einfach nur vergessen", sagt Schober. Wohl auch darum, so vermutet der gelernte Betriebswirt, ist keine der Gemeinden der Region Gründungsmitglied in der als gemeinnützig anerkannten Stiftung.

In ein normaleres Leben werden die Opferfamilien vielleicht nach dem Prozess gegen den Vater von Tim K. zurückfinden. Der 51 Jahre steht voraussichtlich ab Herbst wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen, fahrlässiger Körperverletzung und Verstoß gegen das Waffengesetz vor Gericht.

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