Mladic-Prozess Höchststrafe, aber keine Versöhnung

Den Haag/Belgrad (dpa) - Nach einer knappen Stunde platzt dem Richter der Kragen: „Sie werden jetzt aus dem Gerichtssaal entfernt“, fährt Alphons Orie den Angeklagten an.

Mladic-Prozess: Höchststrafe, aber keine Versöhnung
Foto: dpa

Der ist gänzlich unbeeindruckt und pöbelt weiter lautstark rum. „Lüge! Reine Lüge! Alles Lüge!“, schreit Ratko Mladic (75) im Sitzungssaal des UN-Kriegsverbrechertribunals zum früheren Jugoslawien in Den Haag. Dann bringen Wachen ihn heraus.

Die Szene ist typisch für den bosnisch-serbischen Ex-General und diesen langen und letzten Völkermord-Prozess des Tribunals. Mladic war zwar im dunklen Jacket mit roter Krawatte zum Tag seines Urteils erschienen. Doch ob Uniform oder nicht, er gibt immer den General.

Als General oder besser eine Art Gott hatte Mladic im Kampfanzug vor gut zwei Jahrzehnten im Bosnienkrieg über das Leben von Zehntausenden bosnischen Muslimen und Kroaten entschieden. Und so jemand will keinen Befehl akzeptieren. Und schon gar nicht von einem Gericht, das er als „Handlanger des Westens“ sieht.

Was war geschehen? Die Verteidiger hatten nach einer langen Toilettenpause von Mladic erklärt, dass er einen zu hohen Blutdruck habe. Daher müsse die Verlesung des Urteils stark gekürzt oder abgebrochen werden. Das aber lehnten die Richter ab. Und Mladic explodierte wütend. Erst dann lief sein Gesicht gefährlich rot an.

In den rund fünf Jahren des Verfahrens war es in Den Haag um das Böse gegangen. Nun wurde einer der größten Kriegsverbrecher seit Ende des Zweiten Weltkrieges zur Höchststrafe verurteilt. Lebenslange Haft.

Mehr als 1 700 Seiten lang ist die Begründung des Urteils. Es listet die Schrecken eines vier Jahre dauernden Krieges auf, der am Ende gut 100 000 Menschen das Leben kostete.

Richter Orie ließ die Zuhörer im Gerichtssaal das Grauen erahnen, schilderte noch ein letztes Mal eindringlich das Unfassbare: Die Frau, die in Sarajevo auf dem Weg zum Markt von einem Scharfschützen erschossen wurde. Die Kugel durchbohrte ihren Körper und traf dann auch ihren 7-jährigen Sohn tödlich. Die junge Frau, die wochenlang - immer und immer wieder - von Gruppen von Soldaten vergewaltigt wurde. Die Männer, die gezwungen wurden von einer Brücke zu springen. Dann eröffneten die Serben das Feuer auf sie. 28 starben. Nur einer überlebte.

Bis heute ist es unfassbar, dass nach 1945 auf europäischem Boden solche Verbrechen verübt werden konnten. Und gerade Srebrenica bleibt das Symbol für das Scheitern der Weltgemeinschaft und auch der Niederlande. Die Weltgemeinschaft hatte den Völkermord nicht verhindert, und die niederländischen UN-Blauhelmsoldaten hatten sich kampflos ergeben.

„Wir sind weder zufrieden noch glücklich mit dem Urteil“, sagte die Präsidentin der „Mütter von Srebrenica“, Hatidza Mehmedovic, dem Belgrader TV-Sender N1. Denn die Kinder, Brüder, Väter oder Männer würden damit nicht wieder lebendig werden. „Du schaust auf den Mann und weißt nicht, ist das ein Mensch oder ein Biest. Diese getöteten Kinder wurden aus den Schulbänken gerissen, sie hatten das Leben nicht einmal kennengelernt.“

Für Chefankläger Serge Brammertz ist das Urteil „ein Meilenstein in der Geschichte der internationalen Justiz“. Doch auch er sagt: „Bis zu einer Versöhnung muss noch viel geschehen.“ Es ist das letzte Völkermord-Urteil des UN-Tribunals, doch Krieg und Hass sind noch längst nicht Geschichte.

Der Völkermord, die Vertreibung der bosnischen Muslime und Kroaten unter dem zynischen Begriff „ethnische Säuberung“ waren Teil einer Terrorkampagne mit dem Ziel der Schaffung von Groß-Serbien. Und bis heute glaubt Mladic an diesen für ihn fast heiligen Auftrag. Und viele in Serbien verehren ihn als Helden. „Er ist kein Held“, sagt Chefankläger Brammertz, „er ist ein Massenmörder“.

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