EU-Gipfel kippt Bankgeheimnis - Auch Konzerne im Visier

Brüssel (dpa) - Mit dem Abschied vom Bankgeheimnis für Ausländer nimmt die EU auch die Steuertricks von Großkonzernen ins Visier. Die EU-Staats- und Regierungschefs einigten sich am Mittwoch bei ihrem Gipfel auf einen konkreten Zeitplan, um Steuerschlupflöcher zu schließen.

„Das ist beispiellos“, sagte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy in Brüssel zum Abschluss der Beratungen. „Die Wirtschaftskrise macht den Unterschied.“ Jedes Jahr gehen den EU-Staaten nach Angaben aus Brüssel etwa eine Billion Euro durch Steuervermeidung verloren. Um die Löcher in den Staatskassen zu füllen, machen die EU-Staaten verstärkt Jagd auf zusätzliche Einnahmen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem „sehr wichtigen Fortschritt“. Die EU gebe ein „klares Signal gegen Steuerhinterziehung und auch gegen heute noch legale Prinzipien der Steuervermeidung“. Entscheidend sei, dass auch bisher zögerliche Staaten dem vollen Datenaustausch nun zustimmen wollten - dies sind etwa Österreich und Luxemburg. Nun könne die EU mit Drittstaaten wie der Schweiz verhandeln.

Nach dem Willen der Staats- und Regierungschefs soll bis Jahresende die Verschärfung des EU-Zinssteuergesetzes unter Dach und Fach gebracht werden. Das bedeutet de facto das Ende des Bankgeheimnisses für Bürger aus dem EU-Ausland. Die Zukunft soll dem automatischen Austausch von Bankdaten gehören. Das Bankgeheimnis für Bürger im eigenen Land bleibt davon unberührt.

Die Union will zudem Unternehmen daran hindern, aggressiv Steuerschlupflöcher auszunutzen und so Milliardengewinne zu verlagern. Entsprechende Regeln sollen bis Jahresende angeschoben werden. „Wir müssen an dieser extrem komplizierten Sache arbeiten“, forderte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Merkel sagte, Unternehmen müssten dort, wo sie ansässig seien, Steuern zahlen: „Das alles setzt den Kampf gegen Steueroasen voraus.“ Die EU gehe hier mit gutem Beispiel voran. Frankreichs Staatspräsident François Hollande betonte: „Wir können nicht akzeptieren, dass europäische oder nicht-europäische Unternehmen mit heute legalen Methoden der Besteuerung entgehen“.

Zuletzt hatte der US-Konzern Apple mit seiner Steuerstrategie für Entrüstung gesorgt. US-Politiker werfen Apple vor, über irische Tochterfirmen höheren Abgaben in den USA zu entgehen.

Die Staats- und Regierungschefs beschlossen zudem, dass die EU-Kommission - anders als ursprünglich vorgesehen - im kommenden Jahr nicht verkleinert wird. Jedes der derzeit 27 EU-Länder darf weiter einen Kommissar in die EU-Behörde entsenden. Nach dem Beitritt Kroatiens am 1. Juli wird die EU-Kommission dann aus 28 Mitgliedern bestehen. Der EU-Gipfel setzte damit eine politische Einigung vom Dezember 2008 in geltendes Recht um.

Zentrales Gipfelthema waren auch die hohen Energiepreise. Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise will die EU Industrie und Verbraucher mit niedrigeren Preisen unterstützen. Dies soll durch mehr Wettbewerb und den schnelleren Ausbau der Netze erreicht werden.

Direkte Eingriffe in die Preispolitik sind aber nicht vorgesehen. „Die Versorgung unserer Wirtschaft mit erschwinglicher und nachhaltiger Energie ist in diesem Zusammenhang von größter Bedeutung“, heißt es in der Abschlusserklärung. Bis Jahresende soll die EU-Kommission eine Analyse über Preistreiber im Energiesektor vorlegen.

Die Energiepolitik liegt allerdings in der Kompetenz der einzelnen EU-Staaten. Das nicht nur in Deutschland umstrittene Thema Fracking, die Förderung von Schiefergas, taucht in der Erklärung nur indirekt auf. Die EU-Kommission werde prüfen, wie heimische Energiequellen „sicher, nachhaltig und kosteneffizient“ genutzt werden könnten. Frankreich forderte europäische Regeln zum Schiefergas „mit einer gewissen Zahl an Vorsichtsmaßnahmen“, sagte Hollande.

Im Gegensatz zur Energie gab es bei den Steuern konkrete und weitreichende Ergebnisse. Bislang halten Österreich und Luxemburg noch das Bankgeheimnis für Ausländer aufrecht und erheben stattdessen eine anonyme Quellensteuer von 35 Prozent. Nach der Ankündigung Luxemburgs, von 2015 an am automatischen Informationsaustausch teilzunehmen, macht nun auch Österreich beim Kampf gegen Steuerflucht mit. „Das ist ein schlechter Tag für Steuerbetrüger“, sagte Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann.

Luxemburg stellte noch Bedingungen. Es müsse zunächst mit der Schweiz und anderen Nicht-EU-Staaten über die Ausweitung der europäischen Zinsbesteuerung gesprochen werden, sagte Premier Jean-Claude Juncker. „Wir hätten gerne, dass die EU die Schweiz ernst nimmt.“ Frankreichs Präsident Hollande stellte klar, dass der Beschluss zum Ende des Bankgeheimnisses nicht vom Ausgang dieser Beratungen abhänge. Es gehe nur darum, die europäischen Regeln auch auf Drittländer auszudehnen.

Beim nächsten Gipfel Ende Juni steht der Umbau der Wirtschafts- und Währungsunion auf dem Programm. Merkel kündigte an, am 30. Mai zu Gesprächen mit der französischen Führung nach Paris zu reisen. Sie wolle mit Hollande Vorschläge für den Gipfel machen. Regierungskreise hatten zuvor eine gemeinsame Initiative für weitere EU-Reformen in Aussicht gestellt. Hollande pochte in der vergangenen Woche auf das alte französische Vorhaben einer Wirtschaftsregierung für die Eurozone.

Die Staatenlenker sprachen auch über den blutigen Bürgerkrieg in Syrien. Europa müsse den Druck auf den Machthaber Baschar al-Assad erhöhen, forderte Großbritanniens Premier David Cameron. „Ich denke, die EU sollte das Signal aussenden, dass wir bereit sind, das Waffenembargo [gegen Syrien] aufzuheben, es zu ändern, um Druck auszuüben.“ Großbritannien sei dazu bereit. Die Lockerung des Waffenembargos, die nur einstimmig möglich wäre, wird von einer Reihe von EU-Staaten aber kategorisch abgelehnt.

Nach dem Gipfeltreffen nahm Kanzlerin Merkel in der Großen Synagoge von Brüssel den Lord-Jacobovits-Preis des Europäischen Judentums entgegen. Die Europäische Rabbinerkonferenz ehrt Merkel damit für ihre Unterstützung des jüdischen Lebens in Deutschland, ihre Freundschaft zu Israel und für ihre entschlossene Verurteilung des Antisemitismus in Europa.

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