Böhmermann, Erdogan und der Paragraf 103

Berlin (dpa) - Die Bundesregierung hat zugestimmt, dass der Satiriker Jan Böhmermann nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs juristisch verfolgt werden darf. Die wichtigsten Hintergründe:

Böhmermann, Erdogan und der Paragraf 103
Foto: dpa

Worum genau geht es in dem Fall?

Der Satiriker hat in der ZDF-Sendung „Neo Magazin Royale“ ein Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vorgetragen. Dabei nutzte er bewusst beleidigende Formulierungen. Er kündigte das Gedicht als Beispiel für herabwürdigende Schmähkritik an, die nicht erlaubt sei. Die türkische Regierung verlangte wenig später in einer Verbalnote an das Auswärtige Amt in Berlin, dass Böhmermann nach Paragraf 103 StGB verfolgt wird. Darin geht es speziell um die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter. Parallel stellte Erdogan auch Strafanzeige als Privatmann nach Paragraf 185 StGB wegen Beleidigung. Im Grunde geht es nun darum, ob Böhmermanns drastische Äußerungen durch das im Grundgesetz garantierte Recht auf Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt sind.

Was sieht Paragraf 103 StGB vor?

Danach muss mit bis zu drei Jahren Haft oder einer Geldstrafe rechnen, wer einen ausländischen Staatschef beleidigt. Denn ausländische Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und diplomatische Vertreter genießen nach deutschem Recht einen besonderen Schutz ihrer Ehre - egal ob sie sich im In- oder Ausland aufhalten. Ist Verleumdung im Spiel, drohen sogar bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug. Voraussetzung für eine Strafverfolgung ist laut Paragraf 104a StGB, dass ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und dass die Bundesregierung dazu ermächtigt.

Ist es zu solchen Ermächtigungen in den vergangenen Jahren gekommen?

Ja, aber viel weiß man darüber nicht. Die Bundesregierung schweigt sich ziemlich darüber aus, in welchen Fällen sie die Justiz zu Ermittlungen ermächtigt hat. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes kam es seit 2009 zu zwei Prozessen nach Paragraf 103 (Abs. 1), nämlich in den Jahren 2010 und 2013. In beiden Fällen kam es zu Verurteilungen, genauere Informationen liegen dem Bundesamt dazu nicht vor. Der letzte bekannte Fall stammt aus dem Jahr 2007: Damals verurteilte das Amtsgericht Regensburg einen Mann zu 50 Tagessätzen à jeweils 10 Euro Geldstrafe - insgesamt also 500 Euro -, weil er die Schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey im Internet wüst beschimpft hatte. Um einen Prozess kam der Mann seinerzeit aber herum: Die Entscheidung erging per Strafbefehl.

Gibt es Kritik am Paragrafen 103 StGB?

Ja. Die Grünen wollen im Bundestag einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung des Paragrafen 103 einbringen. „Es braucht keine juristische Extrawurst für Staatschefs und Majestäten“, argumentiert Tabea Rößner, Sprecherin für Medien der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) kündigte nun an, dass der Paragraf 103 noch in dieser Legislaturperiode abgeschafft werden solle. Der Passus sei „für die Zukunft entbehrlich“.

Hilft es Böhmermann, wenn Paragraf 103 StGB abgeschafft würde?

Etwas. In Paragraf 2 StGB heißt es: „Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung (Urteil) geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.“ Eine Verurteilung nach Paragraf 103 StGB wäre dann aus Sicht von Juristen nicht mehr möglich. Aller Voraussicht nach käme dann nämlich der allgemeine Beleidigungsparagraf § 185 StGB zum Tragen, der ein geringeres Strafmaß vorsieht.

Was besagt Paragraf 185 StGB?

Dabei geht es nicht speziell um Staatschefs, sondern um den Tatbestand der Beleidigung an sich. Er sieht je nach Schwere der Tat Strafen von bis zu zwei Jahren Haft oder eine Geldstrafe vor. Juristen verstehen unter Beleidigung die „Kundgabe von Missachtung oder Nichtachtung in beliebiger Form“.

Gibt es öfter diplomatische Verwerfungen wegen Satire?

In die Öffentlichkeit kommen nur wenige Fälle. Im Dezember 1964 veröffentlichte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine satirische Fotomontage vom Schah von Persien. Der persische Hof bat um Strafverfolgung, und Bundespräsident Heinrich Lübke ließ ermitteln. Das Amtsgericht Köln verurteilte den Ressortleiter der Zeitung und den Grafiker zu mehreren tausend Mark Geldstrafe. Im Februar 1987 zeigte Rudi Carrell einen kurzen Einspieler, in dem der iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini scheinbar mit Dessous beworfen wird. Die Folge: Zwei deutsche Diplomaten wurden ausgewiesen, das Goethe-Institut in Teheran musste vorübergehend schließen.

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