Analyse: EZB-Chef Draghi zieht seinen letzten Trumpf

Frankfurt/Main (dpa) - Mario Draghi spielt seine letzte Karte. In der Dauerkrise im Euroraum wollen Europas Währungshüter nun mit milliardenschweren Anleihenkäufen das Ruder herumreißen. Einmal mehr begibt sich die Europäische Zentralbank (EZB) auf riskantes Terrain.

Analyse: EZB-Chef Draghi zieht seinen letzten Trumpf
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Nach Nullzinsen, Strafzinsen und einer Flut billiger Notkredite bleiben Zweifel, ob Draghis Plan dieses Mal aufgehen wird.

An den Finanzmärkten haben die Anleger den erneute Notfalleinsatz der Zentralbank längst vorweggenommen. EZB-Präsident Draghi selbst hatte die Erwartungen angeheizt und den Rat der Notenbank unter Zugzwang gesetzt. Plötzlich hatte die EZB das Ziel, ihre Bilanz extrem aufzublähen - obwohl das später nur noch „Absicht“ und nicht „Ziel“ heißen durfte.

Experten jedenfalls war schnell klar: Das geht nur, wenn die Notenbank bei Staatsanleihen zugreift. EZB-Daten zufolge waren zuletzt staatliche Schuldscheine im Gesamtwert von rund 6,5 Billionen Euro im Umlauf, die den Anforderungen der Notenbank gerecht werden. Dazu zählen die Währungshüter auch griechische Anleihen - unter der Bedingung, dass das Land, das an diesem Sonntag erneut sein Parlament wählt, unter Aufsicht der internationalen Geldgeber bleibt.

Wieder einmal wird gestritten, was die EZB darf und was nicht - schließlich ist ihr vorrangiges Ziel die Wahrung stabiler Preise. Die ersten Anleihenkäufe der EZB 2010 führten zum Zerwürfnis zwischen den damaligen Spitzen von EZB und Bundesbank: Jean-Claude Trichet und Axel Weber. Das zweite Anleihenkaufprogramm aus dem Sommer 2012 (OMT) kam zwar nicht zum Einsatz, beschäftigt aber noch immer Juristen bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).

In der aktuellen Debatte kamen Warnungen und Widerstand gegen Draghis Pläne erneut vor allem aus Deutschland: von Kanzlerin Angela Merkel über Bundesbank-Präsident Jens Weidmann bis zur deutschen Vertreterin im EZB-Direktorium, Sabine Lautenschläger.

Für Beobachter ist eindeutig, wer den Kürzeren gezogen hat: „Ohnmacht am Main“ überschrieb die „Süddeutsche Zeitung“ schon vor dem EZB-Beschluss vom Donnerstag einen Bericht über die Rolle der Bundesbank. Europas einst wichtigste Notenbank habe erkennbar an Einfluss eingebüßt: „Die EZB will Staatsanleihen aufkaufen - und die Deutschen können nichts dagegen tun.“

Draghi räumte am Donnerstag ein, dass es bis zuletzt Widerstände im EZB-Rat gab. Allerdings sei das 25-köpfige Gremium einstimmig der Meinung, „dass es sich bei den Wertpapierkäufen um ein gewöhnliches Instrument der Geldpolitik handelt“.

Verlierer sind auch Verbraucher, die die jüngste Anti-Krisen-Maßnahme der EZB spätestens beim nächsten Urlaub außerhalb des Euroraums spüren dürften: Die Abwertung des Euro wird nach Einschätzung vieler Experten nun noch an Fahrt gewinnen. Das verteuert Reisen zum Beispiel nach Großbritannien, in die Schweiz oder in die USA.

Auf der anderen Seite hilft der vergleichsweise günstige Euro Exporteuren, ihre Waren außerhalb des Währungsraums zu verkaufen. Das könnte der Konjunktur insgesamt Schwung verleihen. Und auch die Finanzminister - nicht nur der Krisenstaaten - dürfen sich einmal mehr beim Italiener Draghi für eine ultralockere Geldpolitik bedanken, dank der sie günstiger neue Schulden aufnehmen können.

Angesichts dieser Gemengelage bleiben Kritiker skeptisch. „Die Wachstumsschwäche im Euroraum ist nicht dadurch bedingt, dass Banken zu wenig Kredite vergeben. Sie ist verursacht durch strukturelle Probleme. Die Geldpolitik hat hier nur ganz begrenzte Möglichkeiten“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes deutscher Banken (BdB), Michael Kemmer, vor der EZB-Entscheidung. „Wir befürchten zudem, dass Anleihenkäufe zu Vermögenspreisblasen führen werden.“

Die Erfahrungen der Notenbanken mit Anleihenkäufen sind höchst gegensätzlich: Während das QE-Programm in Japan versandete und gar politische Reformen ausbremste, erzielten Anleihenkäufe in den USA die erhoffte Wirkung: Die US-Wirtschaft nimmt wieder Fahrt auf. Allerdings finanzieren sich Unternehmen dort häufig direkt am Markt über eigene Anleihen, während sie sich in Europa vor allem bei Banken Geld besorgen.

Zumindest auf dem Papier haben die QE-Kritiker einen kleinen Sieg errungen: Nur für 20 Prozent der Anleihekäufe soll das Eurosystem gemeinsam haften. Dazu zählen Papiere von EU-Institutionen - etwa der Europäischen Investitionsbank - auf die 12 Prozent der Käufe entfallen sollen.

Ob der Haftungsausschluss für den Rest am Ende des Tages greift, ist offen. Unicredit-Chefvolkswirt Erik F. Nielsen bezweifelt dies jedenfalls: „Die gegenseitige Haftung ist vertraglich festgelegt.“ Hoffnungen, im Zweifelsfall nicht für die Verluste anderer nationaler Notenbanken gerade stehen zu müssen, seien eine Illusion.

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