Zeitarbeiter können Milliarden nachfordern

Erfurt (dpa) - Zehntausende Zeitarbeiter können nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts gleiche Entlohnung wie die Stammbelegschaft im Unternehmen einfordern. Alle seit 2003 von der Tarifgemeinschaft Christlicher Zeitarbeitsgewerkschaften (CGZP) abgeschlossenen Tarifverträge sind unwirksam.

Das gehe aus der seit Montag vorliegenden schriftlichen Urteilsbegründung hervor, sagte Gerichtssprecher Christoph Schmitz-Scholemann der Nachrichtenagentur dpa. Wegen Verjährungsfristen könnten Zeitarbeiter mit Verträgen ab 2005 Lohnnachzahlungen prüfen. Sie müssten ihre finanziellen Ansprüche, bei denen von Fall zu Fall auf Fristen zu achten sei, jedoch einklagen.

Das Bundesarbeitsministerium und die Deutsche Rentenversicherung (DRV) erklärten, es gebe noch keine belastbaren Zahlen zur Höhe möglicher Nachforderungen. Schätzungen von Fachleuten gehen von möglichen Milliarden-Beträgen aus. Die Rentenversicherer haben nach eigenen Angaben bereits rund 1400 Zeitarbeitsfirmen mit CGZP-Tarifverträgen angeschrieben und Ansprüche angemeldet. Nach Schätzungen hat die christliche Spitzenorganisation Tarifverträge für mehr als 200 000 Zeitarbeiter abgeschlossen - vor allem mit dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP). Allein hier sollen weit über 1000 Firmen betroffen sein. Um wie viele Verträge es insgesamt geht, konnte Schmitz-Scholemann nicht sagen.

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen im Dezember 2010 die Tariffähigkeit abgesprochen und damit ihre Verträge für ungültig erklärt. Der Zeitarbeitsbranche drohen nun Nachforderungen nicht nur bei Löhnen, sondern auch bei Sozialbeiträgen.

Nicht bezahlte Beiträge seien „Schulden bei der Solidargemeinschaft“, sagte der Sprecher des Bundesarbeitsministerium, Jens Flosdorff. Sie müssten beglichen werden. Komme es deswegen bei Firmen nachweisbar zu finanziellen Engpässen, könnten die Beiträge auch gestundet oder in Raten beglichen werden. Die Sozialkassen können laut BAG-Sprecher für vier Jahre Versicherungsbeiträge nachfordern. Dies allein mache einige Milliarden Euro aus. Für ehemalige Zeitarbeiter könnten sich daraus theoretisch auch höhere Rentenansprüche ergeben, hatte die Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland mitgeteilt.

Der im Dezember 2002 gegründeten CGZP war der Abschluss von Dumpingverträgen unter anderem vom Berliner Senat vorgeworfen worden. Rechtliche gesehen haben Leiharbeiter, für die es keinen gültigen Tarifvertrag gibt, Anspruch auf gleiche Bezahlung und Arbeitsbedingungen wie die Stammbeschäftigten („Equal-Pay-Prinzip“). Nachzahlungen werden laut BAG-Sprecher jedoch nicht automatisch geltend gemacht.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass die CGZP-Tarifverträge von Anfang an nichtig gewesen seien. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi erklärte: „Die BAG-Entscheidung war ein wichtiger Schritt, um die Arbeitsbedingungen der Leiharbeitnehmer zu verbessern“. Jetzt müsse die Bundesregierung für eine gesetzliche Regelung sorgen, die Zeitarbeitern gleiche Arbeits- und Entlohnungsbedingungen vom ersten Tag an verspricht. So könne dem Missbrauch der Leiharbeit ein Riegel vorgeschoben werden, erklärte der stellvertretende Verdi-Vorsitzende Gerd Herzberg.

Nach Meinung der Gewerkschaft sind nach dem Urteil auch die im vergangenen Jahr von der CGZP erneut abgeschlossenen mehrgliedrigen Tarifverträge unwirksam. Diese waren zusätzlich zur CGZP noch von anderen Mitgliedsorganisationen des Christlichen Gewerkschaftsbunds unterzeichnet worden.

Die Entscheidung, die christlichen Gewerkschaften vor die Arbeitsgerichte zu bringen, sei richtig gewesen, erklärte die Berliner Senatorin für Arbeit, Carola Bluhm (Linke). „Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist eine Warnung an alle, die sich über Lohndumping Wettbewerbsvorteile verschaffen wollen.“

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