Wohnungswirtschaft will mobil werden

Muss es bei dem Bau von Immobilien immer nur um den Stellplatznachweis gehen? Die Firmen fangen an, ihre Herausforderungen neu zu definieren.

Wohnungswirtschaft will mobil werden
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Düsseldorf. Immobilien und Mobilität — eigentlich ist das schon sprachlich ein Gegensatzpaar. Aber Schritt für Schritt erkennt auch die Wohnungswirtschaft, dass sie die Frage der Mobilität von morgen nicht nur anderen überlassen kann. „Wir sind Teil der Energiewende“, sagt Alexander Rychter, Direktor des Verbandes der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VdW) Rheinland Westfalen. „Die Qualität von Quartieren hängt nicht nur von der Beschaffenheit der Wohnungen ab.“

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Das Mobilitätsthema hat aus seiner Sicht für die Branche deutlich mehr Potenzial als nur die alte Frage nach den Stellplatzverpflichtungen pro Wohneinheit. „Die Frage ist: Können wir zum Teil auch Mobilitätsfaktoren mitgestalten?“ Rychters Kronzeugen sind die Jugendlichen und jungen Menschen, die längst nicht mehr so autofixiert seien wie noch seine Generation. „Wir müssen den Schulterschluss suchen“, sagt er, „mit der Politik, den Städten und Gemeinden, der Automobil- und Elektroindustrie.“

Bei NRW-Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) rennt er damit offene Türen ein. „Jede Mobilität beginnt vor der Haustür“, sagt er anlässlich einer Tagung des VdW zum Thema „Neue Mobilität und Wohnungswirtschaft“ in der Classic Remise in Düsseldorf-Wersten. „Die heutige Generation junger Männer ist nicht mehr so heiß auf Autos wie wir.“ Das sei eine Chance, ein Stück vom Auto abzurücken. Die zweite Chance liegt aus seiner Sicht in der Digitalisierung.

Wüst hält es für möglich, dass in fünf bis zehn Jahren weniger darüber diskutiert wird, wie viele Stellplätze für eine Immobilie nachgewiesen werden müssen, sondern ob sich Wohnungsunternehmen nicht stattdessen an den Kosten von Mobilstationen beteiligen können. An diesen Stationen werden mehrere Verkehrsmittel verküpft: Bus- und Bahnverkehr, Carsharing und E-Bikes. Für die Mobilitätskette von der Wohnung zum Arbeitsplatz müsse es ein angenehmes und praktikables Angebot geben. „Es ist heute nicht mehr vermittelbar, dass man Weltreisen auf dem Smartphone buchen kann, aber nicht die Fahrt von Düsseldorf in meinen Heimatort Rhede in Westfalen.“

Der Verkehrswissenschaftler Heiner Monheim, stellvertretender Geschäftsführer des Instituts für Raumentwicklung und Kommunikation und früherer Referatsleiter im NRW-Verkehrsministerium, warnt vor einer einseitigen Fixierung auf den Pendlerverkehr. Der mache nur 18 Prozent des Verkehrsaufkommens aus, der Einkaufs- und Freizeitverkehr aber 35 Prozent. „Die Traumwelt des Autos ist auch eine Alptraumwelt. 160 Millionen leere Autositze werden jeden Tag über deutsche Straßen gefahren.“ Zusammen mit dem Flächenfraß von 160 Millionen Stellplätzen sei das Auto eine „Ineffizienzmaschine“.

Aber anders als beim Energiesparen, das der Wohnungsbau sehr erfolgreich umgesetzt habe, gebe es bei der Mobilität kein vergleichbares Autoeinspargesetz. „Der Bund muss endlich seine Hausaufgaben machen. Das Baugesetzbuch ist noch von der Autogesellschaft geprägt.“ Aber es gebe beispielsweise noch keine vernünftige Regelung, analog zu den Taxiständen einheitliche Flächen für das Carsharing zu schaffen. „Stattdessen müssen die Länder jetzt mühselig ihre eigenen Regelungen finden.“

Zwar sei NRW mit mittlerweile 80 zentralen Radstationen bundesweit Spitze. Aber auch hier sieht Monheim die Wohnungswirtschaft gefordert. „Wer 2- bis 6000 Euro für ein E-Bike ausgibt, macht das nicht mehr abends draußen am Laternenpfahl fest.“

„Wohnen plus“ heißt für den Wissenschaftler auch, sich zu überlegen, ob den Mietern statt eines Stellplatzes nicht ein Jahresticket für den ÖPNV angeboten werden könnte. „Wenn Sie alles addieren, fließen im Wohnungsbau derzeit zehn bis 15 Prozent der Kosten in das Auto.“ Schon heute lebten in den Großstädten 40 bis 45 Prozent der Haushalte ohne Auto, aber alle hätten unter Lärm, Abgasen und Flächenverbrauch zu leiden. „Es gibt einen großen Handlungsbedarf, aber träge Systeme.“

Für Monheim steht die Immobilienunternehmen vor großen Mobilitäts-Herausforderungen: „Dabei geht es nicht nur um Neubauten, sondern auch um den Bestand.“

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