Wirtschaftsweise für härteren Sparkurs

Berlin (dpa) - Die Wirtschaftsweisen haben die Bundesregierung zu einem konsequenten Spar- und Reformkurs aufgefordert und mehr Ehrgeiz bei der Sanierung der Staatskassen angemahnt. Scharfe Kritik übten die Regierungsberater in ihrem Jahresgutachten an den jüngsten Beschlüssen der schwarz-gelben Koalition.

„Das Betreuungsgeld lehnen wir ab“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Wolfgang Franz, am Mittwoch bei der Vorlage des Gutachtens in Berlin.

Auch Pläne für eine Zuschussrente oder die Abschaffung der Praxisgebühr gingen in die falsche Richtung. In seinem Gutachten warnt der Sachverständigenrat davor, bereits umgesetzte Reformen wie die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes oder die Rente mit 67 wieder zurückzunehmen - oder zu verwässern.

Die Wirtschaftsweisen gehen zwar davon aus, dass Deutschland 2012 vor allem dank des Milliardenpolsters der Sozialkassen einen Überschuss ausweisen wird. Weitere Sonderfaktoren seien steigende Steuereinnahmen und weniger Zinskosten. Aber: „Da Bund und Länder nicht dauerhaft auf Sonderfaktoren und eine günstige konjunkturelle Entwicklungen bauen können, und zudem demografisch bedingte Mehrausgaben auf den öffentlichen Gesamthaushalt zukommen, ist deutlich mehr Ehrgeiz bei der Konsolidierung notwendig.“

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte bei der Übergabe des 450 Seiten starken Gutachtens, sie teile es nicht in allen Punkten. Deutschland stehe in einem Spannungsfeld: Einerseits solle die Schuldenbremse schon 2013 und damit drei Jahre früher als nötig eingehalten werden. Zugleich werde Deutschland vorgeworfen, zu stark zu sparen und der Weltwirtschaft Wachstumsimpulse entziehen. „In diesem Spannungsverhältnis versuchen wir immer, den Weg zu finden.“

Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland beurteilen die Weisen zurückhaltender als die Bundesregierung. Die Experten sagen für 2012 und 2013 ein Wachstum von je nur 0,8 Prozent voraus. Die Bundesregierung rechnet 2012 ebenfalls mit 0,8 Prozent, für 2013 aber mit 1,0 Prozent.

„Das deutsche Wachstum ist 2013 und 2014 vergleichsweise solide“, bilanzierte EU-Währungskommissar Olli Rehn. „Aber auch die deutsche Wirtschaft wird sich nicht der derzeitigen Abschwächung entziehen können.“ Auch EZB-Präsident Mario Draghi betonte am Mittwoch, die neuesten Konjunkturdaten deuteten darauf hin, „dass die Ausläufer der Krise nun auch die deutsche Wirtschaft erreicht haben“.

In der Eurozone steht Deutschland bei der Konjunkturentwicklung allerdings noch recht gut da. Im laufenden Jahr wird die Wirtschaft im Währungsraum laut Prognose der EU-Kommission um 0,4 Prozent schrumpfen, für das nächste Jahr wird eine de-facto-Stagnation von plus 0,1 Prozent angenommen. Wachstum erwartet die Kommission laut ihrem am Mittwoch vorgelegten Herbstgutachten erst wieder 2014. Dann wird in der Eurozone ein Zuwachs von 1,4 Prozent angepeilt.

Derweil kämpft Europa weiter gegen die Schuldenkrise. Zwar gehen die Staatsdefizite im Schnitt zurück, teilte die EU-Kommission mit. Euroländer wie Frankreich, Spanien, Griechenland oder Zypern bekommen ihre Defizite aber nicht in den Griff: Paris wird laut Prognose im kommenden Jahr beim Defizit auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung kommen und es nicht - wie von der Regierung zugesagt - schaffen, die Maastrichter Grenze von 3 Prozent einzuhalten.

Defizitsünder Spanien sollte eigentlich 2014 den Grenzwert wieder einhalten - laut Kommission dürfte dies „bei einer unveränderten Politik“ nicht gelingen. Erwartet werden 6 Prozent Defizit im kommenden Jahr und sogar 6,4 Prozent im übernächsten Jahr.

Bei der Stabilisierung der Euro-Zone bescheinigen die Wirtschaftsweisen der Politik zwar Fortschritte. „Trotz dieser Lichtblicke darf nicht außer Acht gelassen werden, dass es aktuell die Europäische Zentralbank ist, die mit ihren unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen das europäische Finanzsystem stabilisiert und einen bedeutenden Beitrag zur Stützung der Banken leistet“, warnte Franz.

Dies sei aber allenfalls eine Notlösung. „Auf keinen Fall darf dies zu einem dauerhaften Stabilisierungsmechanismus werden.“ Die Wirtschaftsweisen schlagen ein „Maastricht 2.0“-Konzept vor, bei dem die Fiskal- und Wirtschaftspolitik weitgehend in nationaler Souveränität bleibt.

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