Atomkraft - ja, bitte : Wie realistisch wären längere AKW-Laufzeiten?
Berlin Die Folgen des Ukraine-Kriegs heizen die Debatte über mögliche Laufzeitverlängerungen der deutschen Atommeiler immer wieder an. Die Bundesregierung hält weiter eisern an ihrem Kurs fest.
Es sind Fragen, die in letzter Zeit immer wieder aufflammen: Braucht es angesichts des Krieges in der Ukraine und drohender Gasknappheit eine Abkehr vom deutschen Atomausstieg? Und würde das wirklich mehr Sicherheit bei der Energieversorgung bringen? Hier ein Überblick.
Wie ist die Ausgangslage?
Der deutsche Atomausstieg ist längst beschlossene Sache. Bis Ende 2022 sollen die drei letzten AKW im niedersächsischen Lingen, das bayerische Isar 2 und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg vom Netz gehen. Damit besiegelt Deutschland eine historische Entscheidung der damaligen Bundesregierung aus dem Jahr 2011. Seitdem wurden immer wieder Zweifel an der Entscheidung laut. Die Atomkraft-Befürworter argumentieren unter anderem auch mit dem Klimaschutz, da AKW über den gesamten Lebenszyklus betrachtet für deutlich weniger Treibhausgas-Ausstoß verantwortlich sind als beispielsweise Gas- oder Kohlekraftwerke. Mit Beginn des Krieges in der Ukraine am 24. Februar hat die Debatte noch einmal an Fahrt aufgenommen - zuletzt auch wegen gedrosselter Gaslieferungen nach Deutschland.
Erst kürzlich erklärte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), man müsse möglicherweise verstärkt auf Kohlekraftwerke zurückgreifen, um den Gasverbrauch zu senken. Die Lage sei ernst. Auch vor diesem Hintergrund fordern etwa Politiker von Union, FDP und führende Ökonomen einen Weiterbetrieb der AKW. „Jede Megawattstunde, die nicht in diesen drei Kraftwerken produziert wird, die müssen wir anders produzieren. Die einzige Ausweichmöglichkeit, die wir haben, ist Kohle, mit all den Konsequenzen“, sagte etwa der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, der sich am Dienstag offener als bislang zu diesem Thema äußerte.
Wird die Bundesregierung ihre Haltung überdenken?
Derzeit sieht es nicht danach aus. Umwelt- und Wirtschaftsministerium hatten Anfang des Jahres einen möglichen Weiterbetrieb geprüft und waren zu dem Schluss gekommen, „dass eine Verlängerung der Laufzeiten nur einen sehr begrenzten Beitrag“ zur Lösung des Problems von Energieversorgungsengpässen leisten würde, wie es im Prüfvermerk vom 8. März 2022 heißt. Ein AKW-Weiterbetrieb wäre mit „sehr hohen wirtschaftlichen, verfassungsrechtlichen und sicherheitstechnischen Risiken“ verbunden. Weiter hieß es: Man müsste mindestens für drei bis fünf Jahre verlängern, um den Aufwand zu rechtfertigen. Bis 2028 stünden aber, wie es heißt, „andere Möglichkeiten“ zur Verfügung, um eine ausreichende Stromversorgung zu gewährleisten.
Was würde eine Laufzeitverlängerung überhaupt bringen?
Das ist umstritten. Derzeit liefern die drei noch laufenden AKW etwa 30 Terrawattstunden Strom pro Jahr und machen einen Anteil von fünf Prozent an der deutschen Stromproduktion aus. Sie würden laut Bundesregierung vor allem Strom aus Kohlekraftwerken ersetzen und folglich kaum einen Beitrag zur Erhöhung der Unabhängigkeit von russischen Gasimporten leisten. Längere AKW-Laufzeiten würden aus Sicht der Bundesregierung im Winter 2022/2023 keine zusätzlichen Strommengen bringen, sondern frühestens ab Herbst 2023 nach erneuter Befüllung mit Brennstäben.