Nahrungsversorgung Ukrainisches Getreide soll wieder auf den Weltmarkt kommen

Die Europäische Union unterstützt die von Russland angegriffene Ukraine. Sie gibt Geld für Waffen und bestraft Moskau mit Sanktionen.

 Ein Frachtschiff nimmt eine Getreideladung auf.

Ein Frachtschiff nimmt eine Getreideladung auf.

Foto: dpa/Vadim Ghirda

Fast fünf Monate nach dem russischen Überfall auf die Ukraine gibt es erstmals eine größere Übereinkunft zwischen den Kriegsparteien: Getreideexporte aus der Ukraine über das Schwarze Meer sollen wieder möglich werden. „Dies ist eine Einigung für die Welt“, lobte UN-Generalsekretär António Guterres die in Istanbul unterzeichneten Abkommen. Die Verschiffung von Getreide und Lebensmittelvorräten auf die Weltmärkte werde dazu beitragen, „die globale Versorgungslücke bei Lebensmitteln zu schließen“, und die weltweiten Nahrungsmittelpreise zu stabilisieren, sagte er.

Die Abkommen wurden von Guterres und Vertretern der Türkei, Russlands und der Ukraine unterzeichnet. Verteidigungsminister Sergej Schoigu reiste aus Moskau an, aus Kiew Infrastrukturminister Olexander Kubrakow. Die Kriegsparteien unterzeichneten ihre Abkommen getrennt voneinander und nacheinander. Die Einigung „eröffnet den Weg für umfangreiche kommerzielle Lebensmittelexporte aus drei entscheidenden ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer - Odessa, Tschornomorsk und Juschnyj“, lobte Guterres. Er mahnte zugleich, alle Seiten müssten nun ihren Verpflichtungen nachkommen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nannte den Tag „historisch“.

Die Europäische Union stockte unterdessen ihre Finanzhilfe zur Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte am Freitag offiziell um 500 Millionen Euro auf insgesamt 2,5 Milliarden Euro auf. Bereits am Donnerstagabend war ein siebtes Sanktionspaket gegen Russland in Kraft getreten. An einigen Stellen lockerte die EU ihre Sanktionen jedoch auch - etwa beim Export von Flugzeugtechnik nach Russland.

Ukrainische Getreideausfuhren werden von Istanbul aus überwacht

Die Häfen der Ukraine, des fünftgrößten Getreideexporteurs der Welt, waren seit Kriegsbeginn blockiert. Rund 20 Millionen Tonnen Getreide konnten zuletzt nicht exportiert werden. Kiew und der Westen machten Moskau dafür verantwortlich, dass die weltweite Versorgung mit Getreide litt. Russland weist dies zurück. Die Ukraine wollte ihre Häfen aus Angst vor russischen Attacken nicht von Minen befreien.

Vereinbart wurde nun ein humanitärer Korridor zwischen der Ukraine und dem Bosporus - der Meerenge zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer. Demnach wird der Export von einem gemeinsamen Koordinationszentrum mit Vertretern der Vereinten Nationen, Russlands der Ukraine sowie der Türkei in Istanbul überwacht. Ein ranghoher UN-Funktionär nannte das Zentrum den „Herzschlag der Operation“. Der Export betrifft zudem nicht nur Getreide, sondern auch Lebensmittel, Dünger und Ammoniak.

Zudem einigten sich die Parteien darauf, dass Schiffe mit dem Ziel Ukraine zunächst in Istanbul durchsucht werden. Dies soll sicherstellen, dass sie keine Waffen oder Ähnliches geladen haben. Eine weitere Kontrolle in der Türkei solle es beim Rückweg der Schiffe aus dem Schwarzen Meer geben. Schiffe in dem humanitären Korridor und die beteiligten Häfen dürfen demnach nicht angegriffen werden. Das Abkommen soll zunächst vier Monate gelten.

Die Ukraine wollte die Dokumente aber nur mit der Türkei und den UN unterzeichnen. Spiegelbildlich sollten dann die Türkei und die Vereinten Nationen einen Vertrag mit Russland schließen. Seit Kriegsbeginn am 24. Februar haben sich beide Seiten nur auf den Austausch einiger getöteter Soldaten und Gefangener geeinigt; Verhandlungen über ein Ende der Kämpfe verliefen im Sand.

UN soll sich für russische Exporte starke machen

Im Zuge der Einigung haben die UN und Russland auch eine separate Absichtserklärung unterzeichnet. Diese sieht nach UN-Angaben vor, den Export von russischen Lebensmitteln und Düngemitteln zu fördern. Dafür würden die UN ein Team zusammenstellen, das mit Ländern und Organisationen verhandelt, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Mit ihnen soll an Lösungen für die bessere Ausfuhr der Produkte gearbeitet werden, ohne Sanktionen zu lockern. Russische Düngemittel und Nahrungsmittel sind nicht direkt von Sanktionen betroffen. Diese beeinträchtigen jedoch alle Exporte aus dem Land.

Brüssel justiert Sanktionen neu

EU-Ratspräsident Charles Michel begrüßte das Abkommen zu den Getreide-Exporten. „Dieses Abkommen kann Millionen von Menschen auf der ganzen Welt zugute kommen“, schrieb der Belgier auf Twitter. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einem „Schritt in die richtige Richtung“. Zugleich forderte er, das Abkommen schnell umzusetzen. Die EU sei entschlossen, den Export von ukrainischem Getreide zu unterstützen. „Durch Russlands illegale Invasion in die Ukraine sind Millionen von Menschen vom Hunger bedroht.“

Die EU lockerte ihrerseits Bestimmungen, die Getreide- und Düngemittelausfuhren Russlands betreffen. Dabei geht es vor allem um Finanzierung und Versicherung solcher Geschäfte. Gegenüber der russischen Luftfahrt erlaubte die EU „technische Hilfe“, um Sicherheitsstandards einzuhalten. Das größte Land der Welt wird durch den Luftverkehr zusammengehalten, im Passagierverkehr werden vor allem westliche Flugzeuge von Airbus und Boeing geflogen.

Die USA begrüßten die Einigung zu den Getreide-Exporten. „Wir halten es jedoch für wichtig, darauf hinzuweisen, dass der Erfolg natürlich davon abhängt, dass Russland diese Vereinbarung einhält und seine Verpflichtungen tatsächlich umsetzt“, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. Russland müsse die Blockade der ukrainischen Häfen beenden. Kirby warf Moskau vor, Nahrungsmittel und Energie als Waffe einzusetzen. Auch Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sagte im ZDF-„heute journal update“ am Abend, wegen der russischen Seeblockade hätten „Menschen viel länger unter Hunger leiden“ müssen „als es notwendig war“.

Polen verärgert über Berliner Zögern beim Panzer-Ringtausch

Polen hat die Bundesregierung im Zusammenhang mit dem geplanten Ringtausch für Waffenlieferungen an die Ukraine scharf kritisiert. „Die deutschen Versprechen zum Panzer-Ringtausch haben sich als Täuschungsmanöver erwiesen“, sagte Vize-Außenminister Szymon Szynkowski vel Sek dem „Spiegel“ (Freitag). Aus polnischer Sicht seien die deutschen Angebote inakzeptabel, so dass man nun auf die Hilfe anderer Nato-Partner setze. Zunächst hätten die Deutschen Panzer angeboten, „die älter waren als diejenigen, die wir der Ukraine gaben“, sagte er. Es sei auch nur um die langsame Abgabe weniger Panzer gegangen. Deswegen rede Polen lieber mit anderen Nato-Partnern, „die wirklich bereit sind, uns dabei zu helfen“.

Auch nach Einschätzung von FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai funktioniert der Ringtausch nicht wie geplant. „Notfalls muss man auch über direkte Lieferungen nachdenken“, sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Die Grüne Göring-Eckhard schließt direkte Waffenlieferungen aus Deutschland ebenfalls nicht aus, will aber keinen Alleingang: „Wenn wir das mit unseren europäischen Partnerinnen und Partnern in der Nato gemeinsam machen können, dann sollten wir das auch tun!“

(dpa )
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