Interview EU-Urheberrecht - Ende des freien Internets ist „unverantwortliche Panikmache“

Solingen · Interview Verleger Michael Boll über Urheberschutz, Wirtschaftlichkeit von Verlagen und die Werbeerlöse der großen Digitalplattformen.

 Michael Boll hält ein digitales Urheberrecht für unerlässlich, um als regionaler Zeitungsverlag mit digitalen Geschäftsmodellen erfolgreich sein zu können.

Michael Boll hält ein digitales Urheberrecht für unerlässlich, um als regionaler Zeitungsverlag mit digitalen Geschäftsmodellen erfolgreich sein zu können.

Foto: Christian Beier/CHRISTIAN BEIER

Michael Boll (41) ist Verleger des Solinger Tageblatts (ST) und des Remscheider General-Anzeigers (RGA) sowie Vorstandsmitglied des Zeitungsverlegerverbands NRW. ST und RGA sind die beiden bergischen Partnerzeitungen der Westdeutschen Zeitung (WZ).

Herr Boll, was kann die Entscheidung des Europäischen Parlamentes zum Urheberschutzrecht für Verlage wie das Solinger Tageblatt bedeuten?

Michael Boll: Das in Artikel 11 vorgesehene sogenannte Verlegerrecht würde den Verlagen erstmals die Chance bieten, sich von den großen Digitalplattformen wie Google die Nutzung ihrer Inhalte vergüten zu lassen. Auch die Gewerkschaften der Journalisten befürworten diese Reform. Insgesamt geht es bei der Reform darum, dass für die Digitalmonopolisten endlich dasselbe gilt wie für andere Unternehmen seit jeher: Wer eigene Geschäfte mit den Rechten Dritter macht, hat diese Rechte vor der Verwertung zu vergüten oder Rechtsverletzungen auszuschließen.

Wie wirkt sich die Digitalisierung in der Medienwelt auf die Wirtschaftlichkeit von Verlagen aus?

Boll: Die Zeitungen sind mit ihren Digitalangeboten sehr erfolgreich, was Reichweite und Relevanz betrifft.  67 Prozent der deutschen Bevölkerung nutzen regelmäßig die digitalen Angebote der Zeitungen. Zusammen mit den Printausgaben erreichen die Zeitungen netto mehr Leser als jemals zuvor. Die Erlöse im Digitalgeschäft sind aber viel zu niedrig, um damit auf Dauer die hohen journalistischen Leistungen zu finanzieren. Zwei Drittel der digitalen Werbeerlöse landen bei Google und Facebook, die sich nicht an der Finanzierung der redaktionellen Inhalte beteiligen, in deren Umfeld aber viel Geld verdienen. Außerdem zahlen diese Unternehmen kaum Steuern in Deutschland.

Was hat das seit fünf Jahren in Deutschland geltende Leistungsschutzrecht bewirkt?

Boll: Manche sagen, es sei gescheitert, weil noch kein Geld von Google an die Verlage fließt. Das sehe ich nicht so. Natürlich versucht Google zunächst alles, um auf dem Rechtsweg eine Zahlung zu verhindern. Diese Rechtsstreitigkeiten dauern eben und sind noch nicht letztinstanzlich entschieden. Keiner hat damit gerechnet, dass das schnell gehen würde. Übrigens werden schon erste Einnahmen aus dem Recht erzielt.

Was halten Sie Kritikern entgegen, die sagen, Leistungs- und Urheberschutzrecht sowie Upload-Filter seien das Ende des freien Internets?

Boll: Das ist unverantwortliche Panikmache, die den Fakten nicht standhält. So gibt es bei Artikel 13 zum Beispiel weitreichende Ausnahmen für nicht-kommerzielle Plattformen und junge Online-Firmen. Auch Zitate zu Zwecken wie Rezension oder Karikatur sind weiter erlaubt. Ich bin der Überzeugung, dass es für die freiheitliche Gesellschaft auf Dauer viel gefährlicher ist, wenn die wirtschaftliche Schieflage zwischen der Kreativ- und Medienindustrie auf der einen und den US-Digitalmonopolisten auf der anderen Seite nicht geschlossen wird. Wenn es  mangels fairer Vergütung wirtschaftlich nicht mehr möglich ist, Qualitäts­inhalte zu erstellen, ist unsere demokratische Gesellschaft wirklich bedroht.

Wie erklären Sie sich die anscheinend ungenügend ausgeprägte Bereitschaft, für Nachrichten im Internet zu bezahlen?

Boll: Es gibt viele praktische Beispiele und Marktforschung, die nahelegt, dass sich die Einstellung der Internetnutzer in dieser Frage wandelt. Mit der Zunahme von kostenpflichtigen Angeboten und der Diskussion über immer mehr Fake News in sozialen Netzwerken nimmt auch die Zahlungsbereitschaft zu. Wir selbst hatten zum Beispiel vergangenes Jahr bei unseren Zeitungstiteln einen erfreulichen Zuwachs bei den digitalen Abos von etwa 20 Prozent.

Sind die Kräfteverhältnisse zwischen Suchmaschinen wie Google und den  Zeitungsverlagen in Europa aus Ihrer Sicht noch halbwegs ausgeglichen?

Boll: Nein. Hier besteht eine gewaltige Schieflage. Das gilt nicht nur für die Zeitungsverlage, sondern für alle, die geistige Leistungen erbringen, wie etwa Künstler, Musiker und Autoren. Die europäische Urheberrechtsreform ist ein unverzichtbarer Bestandteil, um dem entgegenzuwirken. Deshalb unterstützen auch 260 Organisationen aus dem Kreativbereich die Reform.

Fühlen Sie sich als Herausgeber einer vor 210 Jahren gegründeten Zeitung von der Politik genügend unterstützt?

Boll: Ich wünsche mir mehr Unterstützung von der Politik. Ständig werden die bürokratischen Hürden weiter erhöht. Als Beispiele seien die neue Datenschutzgrundverordnung und die Auswirkungen der Mindestlohneinführung auf die Zeitungszustellung genannt. Und warum dauert es so viele Jahre, um den in der Printwelt selbstverständlichen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auch für digitale Zeitungsangebote einzuführen? Die Politik müsste eigentlich ein hohes Interesse daran haben, dass es weiter eine vielfältige und freie Presse gibt. Nur so kann die Demokratie effektiv gegen die dunklen Gewitterwolken geschützt werden, die gerade aufziehen in den westlichen Demokratien.

Wie sehen Sie die Zukunft von regionalen Zeitungsverlagen im digitalen Zeitalter?

Boll: Zwei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit wir eine Chance haben, unsere Geschäftsmodelle erfolgreich dem digitalen Zeitalter anzupassen. Erstens müssen wir gute digitale journalistische Angebote machen und diese ständig weiterentwickeln. Zweitens müssen die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Ein faires, digitales Urheberrecht ist dafür unerlässlich.

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