USA verklagen Ratingagentur S&P wegen geschönter Noten

New York/Washington (dpa) - Die führende Ratingagentur Standard & Poor's (S&P) muss sich für ihre Rolle in der Finanzkrise verantworten. Mehrere Jahre nach dem Beinahe-Kollaps des Finanzsystems hat das US-Justizministerium eine Betrugsklage gegen S&P und deren Mutterfirma McGraw-Hill eingereicht.

Der Vorwurf: S&P habe Risiken bei Hypothekenpapieren verschwiegen und aus Profitsucht zu gute Noten verteilt. S&P entgegnete, die Vorwürfe seien „einfach nicht wahr“. Man werde sich mit allen Mitteln zur Wehr setzen. Die Hypothekenpapiere waren der Sprengstoff, der die Märkte beben ließ und zum Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 führte. Daraufhin war fast die gesamte Welt in eine tiefe Rezession gestürzt.

„Die Bewertungen wurden durch heftige Interessenkonflikte beeinflusst“, sagte US-Justizminister Eric Holder am Dienstag in Washington. „S&P wurde durch sein Verlangen getrieben, Gewinne und Marktanteile zu steigern.“ Die Ratingagentur habe die Interessen der Anleger hinten angestellt. Als Hausnummer für eine Zivilstrafe nannte Holder 5 Milliarden Dollar (3,7 Mrd Euro). In dieser Höhe bewegten sich Verluste bei sogenannten CDO-Wertpapieren, die S&P zwischen März und Oktober 2007 bewertet habe. S&P erklärte weiter, auch niemand anderes habe das volle Ausmaß des Abschwungs am Immobilienmarkt vorausgesehen. Andere Ratingagenturen hätten die beanstandeten Hypothekenpapiere genauso wie S&P bewertet.

Hintergrund für die Vorwürfe ist das Geschäftsmodell der großen Ratingagenturen, zu denen auch noch Moody's und Fitch zählen: Nicht die Anleger zahlen für die Bewertungen, sondern die Verkäufer der Wertpapiere, in diesem konkreten Fall Banken. Diese können sich aussuchen, von welcher der Agenturen sie ihre Anlageprodukte benotet haben möchten. Die Kritik von „Kuschel-Noten“, um Aufträge zu ergattern, gibt es schon lange.

Das Justizministerium hatte seine Klage am späten Montag (Ortszeit) vor dem Bezirksgericht von Los Angeles eingereicht. Es ist die bislang härteste juristische Attacke auf die Ratingagenturen in den Vereinigten Staaten. Die Aktie des S&P-Mutterkonzerns McGraw-Hill war nach Bekanntwerden der anstehenden Auseinandersetzung bereits um annähernd 14 Prozent eingebrochen. Am Dienstag fiel die Aktie um weitere 6 Prozent.

Ratingagenturen schätzen ein, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Wertpapiere ausfallen und Investoren damit ihr Geld verlieren. In diesem Falle lagen den bewerteten Anlageprodukten vor allem Kredite für US-Eigenheime zugrunde. Die Idee: Hunderte oder Tausende von Krediten werden von den Banken gebündelt und weiterverkauft. Die Anleger sollten dann an den regelmäßig eingehenden Kreditraten sowie an der Wertsteigerung der Immobilien verdienen.

In den Jahren vor der Finanzkrise bekamen solche Hypothekenpapiere regelmäßig sehr gute Bonitätsnoten - die Ratingagenturen rechneten demnach nicht mit größeren Zahlungsausfällen. Investoren verließen sich auf diese Urteile und griffen bei den scheinbar risikoarmen und anfangs hochprofitablen Anlageprodukten zu. Als der zunächst boomende amerikanische Immobilienmarkt ins Taumeln geriet und letztlich die Finanzkrise ausbrach, verloren die Papiere schlagartig an Wert - selbst solche, die die Ratingagenturen nur Monate zuvor noch mit der Bestnote Triple-A ausgezeichnet hatten.

Klagen einzelner Investoren gegen die Ratingagenturen verliefen bis dato zumeist im Sande. Denn S&P und Co. stellen sich auf den Standpunkt, sie hätten mit ihrer Benotung lediglich eine Meinung vertreten und keine Kaufempfehlung abgegeben. Und eine freie Meinungsäußerung sei von der Verfassung garantiert.

Die Abwehrfront scheint aber zu bröckeln: Mitte Januar hatte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden, dass Ratingagenturen in Deutschland grundsätzlich wegen ihrer Einschätzung verklagt werden können. Zuvor hatte ein australisches Gericht S&P zur Zahlung einer millionenschweren Entschädigung verurteilt, weil die Ratingagentur Anleger in die Irre geführt habe. In New York hatte ein Gericht eine ähnliche Klage von Investoren zugelassen.

Nach Informationen von US-Medien hatte es vor der Klageerhebung Gespräche über einen Vergleich gegeben. Diese seien jedoch gescheitert, nachdem das Justizministerium auf eine Zahlung von mehr als 1 Milliarde Dollar gedrängt habe. S&P habe rund 100 Millionen Dollar angeboten, schrieb die „New York Times“.

Zuletzt waren die Ratingagenturen wegen der Abstufungen europäischer Länder in die Schusslinie geraten. Politiker hatten ihnen vorgeworfen, die europäische Schuldenkrise noch zu verschlimmern. Auch in Europa gibt es Bemühungen, die Agenturen stärker zu regulieren.

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