Liberty Steel : Britischer Konkurrent will Stahlsparte von Thyssenkrupp kaufen
London/Essen Die goldenen Jahre der Essener „Stahlbarone“ sind lange vorbei, die Realität ist trist für den Konzern. Um Kasse zu machen, wurde schon Tafelsilber verkauft. Nun könnte das Stammgeschäft abgegeben werden: der Stahl.
Der angeschlagene Industriekonzern Thyssenkrupp hat ein Angebot des Wettbewerbers Liberty Steel zum Kauf seines Stahlgeschäfts erhalten. Es gebe viel Potenzial, da sich die Unternehmen gut ergänzten, begründete der britische Konzern seine Offerte am Freitag in London. Eine mögliche Kaufsumme wurde nicht genannt. Zuvor hatte der „Spiegel“ berichtet.
Liberty Steel beschäftigt nach eigenen Angaben rund 30 000 Menschen und ist in zehn Staaten aktiv - in Europa, Australien, den USA und China. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei umgerechnet rund 13 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Thyssenkrupps Stahlsparte kam im Geschäftsjahr 2018/19 auf rund neun Milliarden Euro Umsatz. Derzeit hat der Bereich 27 000 Mitarbeiter, das ist etwa ein Viertel des Gesamtkonzerns (106 000).
„Wir haben heute ein indikatives Angebot für einen Erwerb des Stahlgeschäfts erhalten“, hieß es von Thyssenkrupp. Das Angebot werde sorgfältig geprüft. Die Gespräche mit anderen potenziellen Partnern würden fortsetzen. „Unser Ziel ist es, das Stahlgeschäft nachhaltig zukunftsfähig zu machen. Es kommt für uns darauf an, dafür die beste Lösung zu finden.“
Der Hintergrund des Angebots: Thyssenkrupp steckt in einer schweren Krise. Das Traditionsunternehmen schreibt beim Stahl tiefrote Zahlen. Allein in den ersten neun Monaten des laufenden Geschäftsjahres lief ein operativer Verlust von 841 Millionen Euro auf. Das bereinigte Ebit (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) betrug minus 706 Millionen Euro - die Differenz beider Werte ist auf Rückstellungen für die Restrukturierung der Stahlsparte zurückzuführen. Überkapazitäten auf den Stahlmärkten sowie ein Nachfrageeinbruch drücken aufs Geschäft. Zudem sind Milliardeninvestitionen in klimaschonende Produktion nötig.
Im Juli hatten die Essener die Aufzugssparte für gut 17 Milliarden Euro an Finanzinvestoren verkauft und sich finanziell Luft verschafft. Thyssenkrupp braucht seit Jahren Geld, um den Konzernumbau zu stemmen und Schulden zu senken. Die Corona-Krise macht den Essenern bei den ursprünglichen Plänen jedoch einen Strich durch die Rechnung, in diesem Geschäftsjahr erwarten sie einen Milliardenverlust.