Leitzins könnte noch tiefer sinken

Die Wirtschaft im Euroraum schleppt sich durch die Rezession. Die EZB will nun noch einmal eingreifen.

Frankfurt. Im Kampf gegen die anhaltende Krise steht die Europäische Zentralbank (EZB) vor einem historischen Schritt: Schon am Donnerstag könnten die Währungshüter den Leitzins im Euroraum auf ein Rekordtief senken.

Noch zu Jahresbeginn hatten die Experten ein schnelles Anziehen der Konjunktur erwartet. Diese Hoffnung hat einen Dämpfer erlitten. Die Stimmung in der Wirtschaft hat sich eingetrübt, und die Krisenländer stecken tief in der Rezession. Große Euro-Länder wie Spanien oder Frankreich leiden unter einer historisch hohen Arbeitslosigkeit. Selbst in Deutschland stottert der Konjunkturmotor. Wegen der enttäuschenden Konjunkturdaten erwarten Experten Donnerstag, spätestens aber im Juni, eine Lockerung der Geldpolitik.

Trotz der weit geöffneten Geldschleusen ebbt der Preisdruck in der Eurozone ab. Im April sank die Inflationsrate auf 1,2 Prozent — und damit klar unter die EZB-Zielmarke von knapp zwei Prozent. Die EZB hat also Spielraum — im Moment. Nicht nur Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat das Dilemma der EZB erkannt: Laut Merkel sind die Zinsen für Deutschland zu niedrig, während die EZB für andere Länder noch mehr tun müsse, damit Unternehmen dort wieder günstig an Kredite kommen. Das kann den Preisauftrieb hierzulande anheizen.

Deutschland kam bisher vergleichsweise gut durch die Krise. Der Arbeitsmarkt ist extrem robust. Die Lohnstückkosten sind deutlich stärker gestiegen als in anderen Euroländern, betont Krämer: „Spätestens wenn die Nachfrage wieder anzieht, werden die Unternehmen die Preise stärker anheben, um die Gewinnmargen wieder auszuweiten“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer.

Eine hohe Inflationsrate bei niedrigen Zinsen frisst die Ersparnisse auf. Deshalb warnte der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV), Georg Fahrenschon, die EZB vor einer weiteren Zinssenkung: „Noch mehr und noch billigeres Geld vermindert den Anreiz zum Sparen.“ Anleger würden mit zu niedrigen Zinsen immer stärker zu ungefragten Solidarmaßnahmen zur Entschuldung von Euro-Staaten herangezogen.

Die Meinungen darüber gehen auseinander. Der deutsche Vertreter im EZB-Direktorium, Jörg Asmussen, dämpft die Erwartungen: „Geldpolitik ist keine Allzweckwaffe gegen jede Art ökonomischer Krankheit.“ Gerade in den Krisenländern, wo sie am meisten gebraucht werde, wirke eine Zinssenkung kaum. Im Gegenteil: Asmussen sieht die Gefahr, dass das billige Geld die Reformbereitschaft von Regierungen schmälert. Hingegen empfiehlt Ökonom Julian Callow von Barclays Capital eine Zinssenkung — und zwar gleich um 0,5 Punkte auf 0,25 Prozent: „Die Wirtschaftsleistung im Euroraum steht vor dem Kollaps, das ist eine Zombie-Ökonomie.“

In der Krise kommen die niedrigen Zinsen nicht überall bei Unternehmen und Privaten an. Mangelnder Zugang zu frischem Notenbankgeld sei aber nicht die Ursache für die erschwerten Finanzierungsbedingungen in den Krisenländern, heißt es beim Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Ausschlaggebend seien die höheren Risiken, die Banken bei der Kreditvergabe zögern ließen. In Ländern wie Portugal, Spanien oder Griechenland müssten Unternehmen bis zu fünf Prozentpunkte mehr für Kredite bezahlen als in Deutschland.

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