EU-Gericht hält Vorgaben für rechtswidrig Wie an den Stickoxid-Grenzwerten geschraubt wird

Ein EU-Gericht will, dass die Vorgaben für den Stickoxid-Ausstoß von Autos auf der Straße und nicht nur im Labor eingehalten werden. Bisher ist das nicht der Fall.

Produktion der C-Klasse von Mercedes im Werk Bremen. Wegen zu hoher Schadstoff-Emissionen stehen die Autobauer mächtig unter Druck.

Produktion der C-Klasse von Mercedes im Werk Bremen. Wegen zu hoher Schadstoff-Emissionen stehen die Autobauer mächtig unter Druck.

Foto: dpa/Carmen Jaspersen

Ein EU-Gericht hat Stickoxid-Grenzwerte für Dieselautos der neuesten Generation für nichtig erklärt. Mittlerweile gibt es eine ganze Anzahl an Grenzwerten für den Stickoxid-Ausstoß von Autos, je nach Alter und Abgastest. Eigentlich sollten die Autos dadurch mit der Zeit immer sauberer werden – Politiker und Autokonzerne nutzen jedoch Hintertüren, um die Grenzwerte aufzuweichen.

Was bedeutet die Euronorm?

Die Einteilung in Schadstoffklassen wurde eingeführt, um Autoabgase schrittweise sauberer zu machen. So müssen Autos von Jahr zu Jahr strengere Grenzwerte einhalten, damit sie eine Zulassung bekommen. Reguliert werden etwa der Ausstoß von Kohlenwasserstoffen und Stickoxiden sowie von Feinstaub. Die Regulierung begann 1992 mit Euro 1. Im Jahr 1997 wurde Euro 2 eingeführt, 2001 folgte Euro 3, 2006 Euro 4, 2011 Euro 5 und seit 2015 gilt Euro 6.

Wie wird gemessen?

Gemessen werden die Emissionen der Autos im Labor. Dabei kam früher der für seine zahlreichen Schlupflöcher bekannte Teststandard NEFZ zum Einsatz. Seit September 2018 gilt der strengere WLTP für alle neuen Autos. Ab September 2019 müssen die Emissionen zusätzlich für alle Neuwagen auch im normalen Fahrbetrieb auf der Straße mit dem Test nach RDE (Real driving emissions) gemessen werden. So sind die Betrugsmöglichkeiten für die Autohersteller deutlich eingeschränkter als früher, die Messergebnisse näher am tatsächlichen Ausstoß.

Welche Grenzwerte gelten für Stickoxide?

Der maximale Ausstoß von Stickstoffdioxid wurde seit Euro 3 von 500 Milligramm pro Kilometer über 250 Milligramm (Euro 4) und 180 Milligramm (Euro 5) auf aktuell 80 Milligramm gesenkt. Noch müssen die neuen Autos diesen Wert nur im Labor erfüllen, ab nächstem Jahr auch auf der Straße. Dort dürfen die Autos die Grenzwerte laut aktueller Gesetzgebung aber reißen: Bis 2020 dürfen die Werte im RDE-Test das 2,1-fache des Grenzwerts betragen (168 Milligramm), danach noch das 1,5-fache (120 Milligramm). Begründet wird dies mit einer ungenauen Messtechnik und sich verändernden Außenbedingungen. Doch das Gericht der Europäischen Union lässt das nicht durchgehen. Demnach müssen Autos der Euronorm 6 auch im RDE die 80 Milligramm einhalten.

Wie reagiert die Bundesregierung?

Die Bundesregierung will Dieselfahrer älterer Autos vor Fahrverboten bewahren: Laut aktuellem Gesetzentwurf sollen alle Autos mit einem realen Ausstoß von bis zu 270 Milligramm Stickoxid in Fahrverbotszonen fahren dürfen. Das ist das 1,5-Fache des Euro-5-Werts.

Wie schmutzig sind Dieselautos?

Laut einer Erhebung des Umweltbundesamts sind Euro-5-Autos die schmutzigsten. Sie stoßen im Realbetrieb durchschnittlich 900 Milligramm Stickstoffdioxid je Kilometer aus – das Fünffache des Labor-Grenzwertes. Euro-4-Diesel stoßen demnach mit 674 Milligramm fast das Dreifache des Grenzwerts aus. Euro-6-Diesel, die ohne RDE-Test zugelassen wurden, stoßen im Schnitt 507 Milligramm aus. Das ist mehr als das Sechsfache des aktuellen Grenzwerts. Laut Umweltbundesamt sind nur Diesel der aktuellsten Euronormen 6d-temp und 6d relativ sauber.

Wie reagiert die deutsche Autoindustrie auf das Urteil?

Sehr gelassen. Auf Nachfrage dieser Zeitung sagt Bernhard Mattes, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie (VDA): „Das Urteil kritisiert weder Messmethode der Abgasstraßenmessungen noch die konkrete Ausgestaltung der Grenzwerte. Das EU-Gericht stellt lediglich fest, dass die Umrechnungsfaktoren für Labor- und Straßenwerte nicht allein von der EU-Kommission vorgegeben werden durften. Hier wäre nach Ansicht des Gerichts eine Änderung der Grundverordnung selbst und damit eine Abstimmung im Parlament und im Rat nötig gewesen. Mit anderen Worten: Nicht die Vorgaben an sich werden als rechtswidrig eingestuft, sondern nur der Weg ihrer Entstehung. Wie sich das Urteil konkret auswirkt, ist deswegen völlig offen. Die Kommission hat die Möglichkeit, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Gerichtsentscheidung Rechtsmittel einzulegen. Zudem gibt das Urteil selbst eine Frist von weiteren 12 Monaten nach Rechtskraft vor, in denen keinerlei Änderungen vorgenommen werden können. Damit werden Rechts- und Planungssicherheit gewährt.

Und was sagt der ADAC?

Der ADAC sieht in dem Urteil keine unmittelbaren Auswirkungen auf Besitzer von Dieselautos der Abgasnorm Euro 6 in Deutschland. Mit dem Gerichtsurteil werde zunächst nur das Gesetzgebungsverfahren beanstandet. Die EU-Kommission sei nicht berechtigt gewesen, die Grenzwerte des neuen Abgastests RDE abzuändern.

Die Vorschriften zur Bestimmung von Stickoxidwerten bei Euro-6-Fahrzeugen im Realverbrauch müssten rechtlich einwandfrei geregelt werden, so der Autofahrerverein weiter. Hier müsse der europäische Gesetzgeber innerhalb einer Übergangfrist von zwölf Monaten nachbessern. Dabei müsse allerdings sichergestellt werden, dass auch eine Anpassung der Grenzwerte für RDE-Messungen nicht zu Lasten der jetzigen oder zukünftigen Halter von Euro-6-Fahrzeugen geschehe, forderte der ADAC. Die Verbraucher müssten sich „absolut“ darauf verlassen können, dass bereits gekaufte oder aktuell im Handel angebotene Euro-6-Fahrzeuge allen gesetzlichen Vorgaben entsprechen.

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