Fachkräftemangel Wo die Fachkräfte besonders fehlen

Düsseldorf · Schulen, Kitas und Krankenhäusern mangelt es an ausgebildetem Personal in sechsstelliger Höhe. Auch Lokführer werden dringend gesucht. Woran das liegt und was zu tun ist.

 Ob Lehrer, Erzieher, Lokführer oder in der Pflege: Fachkräftemangel ist das Schlagwort der vergangenen Jahre.

Ob Lehrer, Erzieher, Lokführer oder in der Pflege: Fachkräftemangel ist das Schlagwort der vergangenen Jahre.

Foto: dpa

Pflegenotstand, Lehrermangel, fehlende Erzieherinnen – das hört und liest und sieht man seit einigen Jahren überall. Doch die Hilferufe werden nicht leiser, stattdessen greifen sie auf eine Vielzahl an Berufsgruppen über. Fachkräftemangel ist das Schlagwort der vergangenen Jahre. Eine Fachkraft ist jemand, der eine spezielle Ausbildung abgeschlossen hat, also für spezifische Tätigkeiten qualifiziert ist. Fehlen solche Leute, wird nicht nur die Entwicklung gehemmt, sondern auch der Erhalt des Status quo ist kaum mehr von den vorhandenen Kräften zu schultern. Die Arbeitsbelastungen nehmen zu, die Qualität nicht unbedingt.

Deshalb werben viele Berufsgruppen um Quereinsteiger. Selten waren die Chancen für Arbeitssuchende und Wechselwillige so groß: In der Polizei, im Justizvollzugsdienst, im Handwerk, in der Pflege, in Schule, Kita und der Bahn – überall wird Personal gebraucht. Ein Mangelberuf lässt sich für alle Schulabschlüsse finden. Besonders deutlich tritt der Mangel in den sozialen und pädagogischen Berufen zutage. Die Ursachen dafür und wirkungsvolle Maßnahmen dagegen, haben wir an vier Beispielen dargestellt. Fakt ist: Die Bedarfslücken waren nicht unvorhersehbar.

Schule: Lehrkräfte fehlen vor allem in Grund- und Berufsschulen

Wie viele Stellen sind unbesetzt?

50.000. Nach Schätzung des Präsidenten des deutschen Lehrerverbands, Hans-Peter Meidinger, konnten 15 000 Stellen in diesem Schuljahr bundesweit nicht besetzt werden. Die anderen 35 – 40.000 Jobs sind mit „nicht ausreichend qualifizierten“ Seiteneinsteigern besetzt.

Wo fehlen sie?

„Die meisten Lehrkräfte fehlen aktuell im Grund- und Förderschulbreich sowie an gewerblichen Berufsschulen“, sagt Meidinger. In weiterführenden Schulen mangelt es an Lehrkräften für die naturwissenschaftlichen Fächer. In NRW gibt es laut Bildungsministerium für die Klassen 5 bis 10 vor allem in Mathe, Deutsch und Englisch die größte Bedarfslücke, aber auch für Fremdsprachen, Informatik, Sport, Naturwissenschaften, Hauswirtschaft und Technik werden Lehrkräfte gesucht. Überhaupt kein Mangel herrscht an Geschichts- und Religionslehrern. In der Oberstufe fehlen Lehrkräfte für die MINT-Fächer sowie Latein, Kunst, Musik und evangelische Religion.

Warum?

Zu späte Reaktion, Studienplatzabbau und Flüchtlingskinder. „Das ist die Crux des sogenannten Schweinzyklus. Der Staat reagiert zu spät auf absehbare Bedarfslücken und dann überreagiert er“, erklärt Meidinger. So werde nach Auffassung des DL – im Gegensatz zur Bertelsmannstudie – in wenigen Jahren „ein heftiges Überangebot“ an Lehrkräften herrschen. Weitere Gründe für den aktuellen Mangel liegen darin, dass die Länder „tatenlos zugesehen“ hätten, wie Lehramtsstudienplätze massiv abgebaut wurden und durch die Flüchtlingswelle sind nach Angaben des DL mindestens 200.000 schulpflichtige Kinder nach Deutschland gekommen.

Was ist zu tun?

Um dem „Schweinezyklus“ zu entkommen, schlägt der deutsche Lehrerbund vor, über Bedarf einzustellen, um in Mangelzeiten Reserve zu haben. Denn Lehramtsabsolventen, die keinen Job finden, könnten aus alternativen Berufen nicht zurückgeholt werden.

Kitas: Mehr Anerkennung und Geld für Erzieherinnen

Wie viele Stellen sind unbesetzt?

„Bis 2025 fehlen allein 300.000 Erzieher, die gar nicht erst ausgebildet werden“, sagt Björn Köhler, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Mit dem Hort- und Ganztagsbereich fehlen heute schon 110.000 Erzieherinnen.

Warum?

Uneinheitliche Ausbildungsmodalitäten, hohe Belastung, niedrige Bezahlung. „Das Problem ist, dass die Ausbildung im Vergleich zu anderen Fachkräften nicht vom Arbeitgeber durchgeführt wird“, erklärt Köhler. Sie ist Ländersache, findet an Fachschulen und -akademien statt und musste bisher selbst finanziert werden. Auch die Vorqualifizierung unterscheide sich erheblich. Seit den ersten Streiks 2009 hätten die überwiegend weiblichen Erzieherinnen ein Bewusstsein dafür entwickelt, was ihre Arbeit wert sei. „Sie sind nach vier bis fünf Jahren Ausbildung auf dem Niveau einer Meisterin oder Technikerin qualifiziert“, sagt Köhler.

Was ist zu tun?

Der Beruf muss attraktiver werden. „Wir brauchen eine bundesweit einheitliche Ausbildung“, fordert Köhler. Erste Schritte dahin gibt es bereits durch von der Bundesregierung geförderte praxisintegrierte Ausbildungen, bei denen die Azubis einige Tage pro Woche in der Einrichtung arbeiten. Neben höherem Gehalt, das den Erzieherinnen Anerkennung als Fachkraft gibt, sei ein Personalschlüssel nötig, der berücksichtigt, dass nur 60 Prozent der Arbeit direkt mit den Kindern stattfindet.

Zusätzlich fordert die GEW, dass die Ausbildung durch Bafög gefördert wird, um allen Interessenten die Ausbildung zu ermöglichen. Zudem müsse der Beruf akademisiert werden. „Eine Kita ist nicht nur eine Betreuungsinstitution, sondern eine Bildungseinrichtung. Die Fachschulen stoßen an ihre Grenzen, wenn es um den professionellen Blick auf das Kind geht“, erklärt Köhler. In anderen Ländern sei ein Studienabschluss längst Standard.

Krankenhäuser: Arbeitsbedingungen im Pflegeberuf schrecken junge Leute ab

Wie viele Stellen sind unbesetzt?

Die Zahlen variieren stark. Eine Studie von 2105 beziffert sie allein in Krankenhäusern auf 100.000. Aber: „Die meisten Einrichtungen melden ihre offenen Stellen gar nicht mehr“, sagt Johanna Knüppel, Sprecherin des deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK). Zudem basierten vorhandene Zahlen auf einem „bestehend schlechten“ Patientenschlüssel. Würde man den „echten Bedarf“ zugrunde legen, der sich an den Bedürfnissen der Patienten orientiert, wären die Zahlen „gigantisch hoch.“

Warum?

Wegen der Arbeitsbedingungen. Jedes Jahr beginnen rund 50.000 junge Menschen eine Pflegeausbildung. „Das Problem ist allerdings, dass wir eine hohe Abbrecherquote haben“, sagt Knüppel. Große Fachschulen bis zu 30 Prozent. Hinzu komme, dass die frisch Examinierten nicht dauerhaft in den Beruf einsteigen. Die Ursache dafür sieht der DBfK in den schlechten Arbeitsbedingungen. „Gerade junge Menschen, die das bereits während ihrer praktischen Ausbildung zu spüren bekommen, wenden sich ab.“ Ein weiteres Problem ist die hohe Teilzeitquote. Diese basiert laut Knüppel einerseits darauf, dass es immer noch ein typischer Frauenberuf ist, andererseits zeigt sie die chronische Überlastung an. „Es ist nicht die niedrige Bezahlung, die Pflegefachpersonen aus dem Beruf treibt“, resümiert Knüppel.

Was ist zu tun?

„Der Schüssel sind die Arbeitsbedingungen. Hier müssen Unternehmen in Vorleistung gehen“, fordert Knüppel. Anders kämen Fachkräfte nicht zurück, stockten Teilzeitkräfte nicht auf und ließen sich keine Azubis halten. Außerdem müsse der Angehörigenpflege, dem „größten Pflegedienst der Nation“, mehr Anerkennung zuteil werden.

Bahn: Lokführer gesucht – die Bahn wirbt um Quereinsteiger

Wie viele fehlen?

Über 1500 sind es bei der deutschen Bahn und anderen Eisenbahnunternehmen zusammen. „Laut Bundesagentur für Arbeit ist Lokführer der Job mit dem größten Engpass. Auf 100 offene Stellen kommen nur 23 Bewerbungen“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, eines Vereins der Eisenbahnbranche.

Warum?

Wegen Schichtdiensten, Suiziden und falschen Personalentscheidungen. „Man muss Nachtschichten fahren und ist auch mal lange von zu Hause weg“, sagt Dirk Flege. Zudem erlebt jeder Lokführer statistisch gesehen mindestens einmal einen Suizid. Laut Eisenbahnbundesamt nahmen sich 2017 798 Menschen auf den Schienen das Leben. Der dritte Grund ist die fehlende Ausbildung von Nachwuchskräften trotz Wachstumsprognose. „Die Einstellung ändert sich erst, wenn sich die Realität ändert“, meint Flege. Die Bezahlung der Lokführer liege deutlich über der von LKW- und Busfahrern.

Was ist zu tun?

Die Bahnen haben ihre Ausbildungskapazitäten erhöht und werben um Quereinsteiger.

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