Interview Arndt Kirchhoff ist voll des Lobes für die schwarz-gelbe Regierung in NRW

Wie der Arbeitgeberpräsident die Politik in Düsseldorf und Berlin sieht. Was er über einen Finanzminister bei der EU und die Flüchtlingsverteilung denkt. Und warum er die Aussichten für deutsche Autobauer und Zulieferer positiv sieht.

Interview: Arndt Kirchhoff ist voll des Lobes für die schwarz-gelbe Regierung in NRW
Foto: Sergej Lepke

Herr Kirchhoff, Sie sind ein Mann der Wirtschaft. Aber eben auch einer, der sich in seiner Funktion als NRW-Unternehmerpräsident immer stark in die Politik einmischt. Darum lassen Sie uns mit Politik anfangen: Wie sind Sie mit den ersten Monaten der schwarz-gelben Koalition in NRW zufrieden?

Arndt Kirchhoff: Ziemlich zufrieden. Die machen was. Mit dem ersten Entfesselungspaket haben sie erst mal eine Menge Unsinn abgeräumt wie zum Beispiel die Hygieneampel und andere Bürokratiemonster etwa beim Vergaberecht. Demnächst kommt eine Modifizierung des Landesentwicklungsplans und des Hochschulgesetzes. Es ist richtig, dass die Hochschulen sich mehr selbst verwalten. Und dass das Thema Bildung in den Vordergrund tritt und auch das Thema Verkehr.

Aber geht es da wirklich voran? Wir hören doch weiter täglich die Staumeldungen im Radio.

Kirchhoff: Jeder weiß, dass da was passieren muss in Sachen Reparieren und Erweitern. Und das dauert. Aber Verkehrsminister Hendrik Wüst macht sich die richtigen Gedanken, wie man den Verkehr besser lenkt, dass es etwa nicht gleichzeitig Baustellen an einer Strecke und an einer Ausweichstrecke gibt. Oder über das Freigeben von Standspuren, wenn das möglich ist. Auch muss der Parkplatzsuchverkehr vermieden werden. Dafür braucht es Technik, das hat er alles angestoßen. Ebenso wie eine Prioritätenliste für Brückenreparaturen. Uns allen muss klar sein, dass dies nicht von heute auf morgen geht.

Und der Regierungschef, haben Sie für ihn auch ein Lob?

Kirchhoff: Mir fällt auf, dass Armin Laschet viel präsenter in Berlin ist. Anders als seine Vorgängerin. Und genau so müssen wir doch als größtes Bundesland auftreten. Wir müssen fordern. In einer neuen Bundesregierung sollte Nordrhein-Westfalen auch mehr Gewicht bekommen. Wenn der Verkehrsminister aus Bayern kommt, dann sieht man auch, wohin bevorzugt die Mittel fließen. Aber das Drehkreuz von Europa liegt in NRW — im Ruhrgebiet. Wir haben alle Wertschöpfungsketten bei uns im Land, eine sehr gute Logistik. Wir sind doch hier wie eine Spinne im Netz, und es nutzt auch Deutschland, wenn die Verkehrsinfrastruktur hier in NRW gut ist.

Wo wir schon bei der Berliner Politik sind: Hier gibt es einen politischen Stillstand, weil wir keine Regierung haben. Aber die Wirtschaft brummt doch auch so.

Kirchhoff: Aber das darf kein Dauerzustand sein. Zu viel steht auf dem Spiel. Nehmen Sie die Europapolitik, wo wir als Stabilitätsanker und auch als Motor von Europa derzeit nicht entschieden auftreten können. Beim Thema Brexit oder bei der Frage, ob wir einen europäischen Finanzminister haben sollten.

Könnten Sie sich einen solchen vorstellen?

Kirchhoff: Ja, aber nicht so, dass wir in Zukunft für andere Länder die Zeche bezahlen. Es muss strenge Regeln geben, inklusive einer Insolvenzordnung für Staaten. Ein Staat muss auch mal pleitegehen können. Bei all diesen Fragen muss Deutschland mit am Tisch sitzen. Ebenso wie beim Thema Flüchtlinge.

Was müsste hier auf europäischer Ebene geschehen?

Kirchhoff: Es kann nicht sein, dass Länder wie Polen, Tschechien und Ungarn sich wegducken bei der Flüchtlingsaufnahme. Das ist nicht Europa. Ich würde zurzeit diesen Staaten kein Geld aus EU-Mitteln geben und stattdessen sagen: Dann müsst ihr warten mit eurer Straße oder Brücke, die ihr bauen wollt. Es gibt ja auch Länder, die würden mehr Flüchtlinge nehmen, wie zum Beispiel Portugal, aber da gehen dann diejenigen nicht hin, die bei uns sind, weil sie bei uns finanziell besser gestellt sind. Hier sollte man über Sachleistungen nachdenken, dann können die Flüchtlinge zum Beispiel europa-einheitlich eine Wohnung bezahlt bekommen. Hier braucht es intelligente Lösungen, sonst bekommen wir keinen Frieden in der Frage.

Nun haben wir keine Bundesregierung. Sind Sie FDP-Chef Lindner gram, dass er aus den Verhandlungen ausgestiegen ist? Und hätten Sie mit einer Jamaika-Koalition leben können?

Kirchhoff: Natürlich bin ich Christian Lindner nicht gram, das ist eine Entscheidung der FDP. Übrigens können in Deutschland Verhandlungen auch schon mal scheitern. Und ja, Jamaika wäre was Neues gewesen. Und spannend. Auch die Grünen haben wirtschaftsfreundliche Politiker, die verstehen, dass man immer nur das verteilen kann, was man vorher verdient hat. Die nicht durchdachte Abschaltung von 7 Gigawatt Kohlestrom aus den Jamaika-Sondierungen jedoch hätte gerade NRW massiv geschadet. Auf der anderen Seite sage ich aber auch: Die deutsche Wirtschaft lebt doch davon, dass wir Prozesse und Geräte haben, die umweltfreundlicher und besser sind als anderswo auf der Welt. Nachhaltige Produkte sind unser Geschäftsmodell. Wir sind schon grün.

Sie selbst sind geschäftsführender Gesellschafter eines großen Autozulieferers. Ist die Zukunft für die Autoindustrie nicht eher trübe?

Kirchhoff: Ganz und gar nicht. Die Menschen wollen weiter individuell unterwegs sein. Hier gibt es besondere Chancen für die Zukunft — gerade auch bei uns. Und zwar mit Blick auf die Zukunftsthemen autonomes Fahren, vernetztes Auto, neue Antriebsarten und Car-Sharing. Auf all diesen Gebieten sind die Deutschen ganz und gar nicht schlafmützig, wie oft behauptet wird.

Arndt Kirchhoff

Nehmen wir das autonome Fahren. Wirklich ein Segen?

Kirchhoff: Weltweit sterben durch den Autoverkehr pro Tag so viele Menschen wie bei zwei Flugzeugabstürzen. Das könnte bald Vergangenheit sein. Und durch die vernetzten Autos ließen sich etwa lange Parkplatzsuchen vermeiden. Bei den neuen Antriebsarten gibt es Ideen, die weit über das bloße Thema E-Mobilität hinausgehen, zum Beispiel synthetische Kraftstoffe.

Das müssen Sie erklären.

Kirchhoff: Diese werden immer dann aus Gasen erzeugt, wenn es nachts windet oder sonntags die Sonne scheint. Wenn also diese regenerative Energie nicht benötigt wird, wird sie in Form von Sprit, eben diesen synthetischen Kraftstoffen, gelagert. Und die können dann CO2-frei verbrannt werden. Da gibt es längst Versuchsanlagen.

Also rosige Aussichten für die Autoindustrie und ihre Zulieferer?

Kirchhoff: Wir sind vorbereitet. Sie werden in 2018/2019/2020 ein Feuerwerk sehen bei der Elektromobilität.

Ist das nicht gar zu euphorisch?

Kirchhoff: Wir Deutsche stellen ein Prozent der Weltbevölkerung und produzieren 20 Prozent der Autos weltweit. Davon zwei Drittel im Ausland, die auch dort Arbeitsplätze bringen. Deutsche Hersteller haben mehr als 50 Prozent der Patente bei der Elektromobilität. Ebenso beim Thema autonomes Fahren. Die Software von Uber wird von einem Unternehmen in Siegen geschrieben und betreut. Oder nehmen Sie Norwegen als das Land der Elektromobilität: mehr als 50 Prozent der E-Autos dort sind deutsche Elektroautos.

Mit der Technik allein ist es aber nicht getan. Müssen nicht auch andere Probleme angegangen werden, die sowohl eine Energieverschwendung bedeuten als auch unsere Straßen verstopfen? Man denke an die diversen Postzulieferer: drei oder mehr fahren innerhalb von zwei Stunden ein Haus an und liefern dort alle einzeln ihre Pakete ab.

Kirchhoff: Das ist wirklich unsinnig. Es wäre besser, nur einer brächte alle Pakete.

Aber wäre das dann noch Marktwirtschaft?

Kirchhoff: Die verschiedenen Anbieter müssen sich an einen Tisch setzen und ihre verschiedenen Versorgungsgebiete absprechen, so dass immer nur einer das Ziel anfährt. Da sparen die auch selbst alle Geld. Da kann die Politik Vorgaben machen, ohne dass damit der Wettbewerb abgewürgt wird.

Wechseln wir zu Ihrer Funktion als NRW-Metallarbeitgeberpräsident. Kommt eigentlich genug von der guten wirtschaftlichen Lage im Portemonnaie der Mitarbeiter an?

Kirchhoff: Seit 2012 hatten wir in der Metall- und Elektroindustrie mit ihren bundesweit 3,9 Millionen Beschäftigten fast 20 Prozent Lohnerhöhung - davon sind wegen der niedrigen Inflation real zwölf Prozent bei unseren Mitarbeitern angekommen. Und auch in diesem Jahr bieten wir in den Tarifverhandlungen eine Reallohnerhöhung: Zwei Prozent bei einer Inflationsrate von 1,7 Prozent. Und wir reden hier über ein durchschnittliches Jahresgehalt von derzeit 56 000 Euro.

Nicht in jeder Branche läuft es so gut. Vielen geht es schlechter. Was halten Sie vom bedingungslosen Grundeinkommen?

Kirchhoff: Davon halte ich ebenso wenig wie von einer Bürgerversicherung. Das ist Sozialismus. Der Bürger muss eine Wahl haben. Und es muss für Leistung bezahlt werden. Wenn etwas durch alle finanziert wird, motiviert das nicht, das ist nicht das Prinzip der sozialen Marktwirtschaft. Wettbewerb bedeutet am Ende mehr Wohlstand.

Aber bleiben dann nicht viele auf der Strecke, insbesondere bei der zunehmenden Digitalisierung?

Kirchhoff: Die Hälfte der Arbeitsplätze wird sich verändern. Das heißt aber nicht, dass diese wegfallen. Die Herausforderung liegt darin, die Belegschaften fortzubilden. Auch in der Vergangenheit haben technische Neuentwicklungen nicht dazu geführt, dass es weniger, sondern dass es am Ende mehr Arbeitsplätze gab. Die Schreibmaschine wurde einst durch den Computer ersetzt. Klar, dadurch fielen Aufgaben für Schreibkräfte weg. Aber es entstanden die Jobs der Programmierer und auch die vielen Vernetzungsjobs, die es früher gar nicht gab. Wir brauchen die Menschen, der Mensch steht auch für die Wirtschaft im Mittelpunkt. Und wir wollen keine prekären Arbeitsplätze. Da sind wir uns auch mit den Gewerkschaften einig.

Also mit den Gewerkschaften in einem Boot?

Kirchhoff: Ja, wir müssen die Tarifautonomie festigen. In der Vergangenheit hatten die Gewerkschaften und auch die Arbeitgebervereinigungen Mitgliederschwund. Die Tarifbindung muss aber gestärkt werden. Wenn Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften irgendwann den gesetzlichen Auftrag, die Tarifautonomie, nicht mehr erfüllen, dann macht es am Ende die Politik. Das wollen wir nicht.

Wie lange hält der Wirtschaftsboom noch?

Kirchhoff: Wenn wir keine Fehler machen, wird die robuste Lage anhalten. Das kann aber auch schnell zu Ende sein. Denn wir sind nie gefeit vor unberechenbaren geopolitischen Risiken, Stichwort Trump und Nordkorea. Insgesamt haben wir eine große Stabilität des Geschäfts, bedingt durch die Globalisierung. Die Unternehmen sind weltweit viel breiter aufgestellt. Ermöglicht eben auch durch die Digitalisierung. Allein die deutsche Autoindustrie baut zwei Drittel ihrer Autos im Ausland. Davon profitiert Deutschland. Die nächste Aufgabe muss Afrika sein. Wir können den Menschen Arbeit und Know how bringen, damit sie sich beteiligen können am Weltkonzert. Mit Entwicklungshilfe der herkömmlichen Art geht das nicht.

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