Stadt-Teilchen Zu schade für den Sperrmüll? Aus schäbig wird Shabby Chic

Die guten Vorsätze im neuen Jahr — endlich mal richtig ausmisten.

Stadt-Teilchen: Zu schade für den Sperrmüll? Aus schäbig wird Shabby Chic
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Düsseldorf. Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern. Meint man. Mindestens eben so schnell altern gute Vorsätze fürs neue Jahr. Einer meiner: Aufräumen. Nicht nur mit Vorurteilen, sondern mit eigenen Händen. Ausmisten, Entrümpeln. Vom Keller bis zum Dachboden. Doch, wo anfangen? Von oben nach unten? Vernünftig wäre es vielleicht, im Keller zu beginnen und dort Platz zu schaffen für Dinge, von denen man sich nicht gleich trennen kann. Das Problem würde damit erst mal zwischengelagert. Dort müsste Platz geschaffen werden. Also, Sperrmüll anmelden. Bis zum nächsten Termin sind jedoch meist die guten Vorsätze — siehe oben.

Doch manchmal hilft der Zufall. Oder eine gute Freundin, die zu Besuch kommt. Die muss im Arbeitszimmer schlafen, wo sich zu diesem Zweck ein SOS-Schlafsessel breit macht. Darauf schlummern jede Menge unbearbeiteter Papierkram, ungelesene Bücher, Handtasche, Sportsachen. Also: Büro aufräumen. Bei dieser Gelegenheit landen vier große blaue Säcke Zeugs im Müll-Container. Welch eine Erleichterung! Fast wie nach einer Diät. Auch so ein Vorsatz aus der Wiedervorlage-Mappe. Für eine andere Geschichte.

Zurück zum Sperrmüll. Da geht kein Weg dran vorbei. Ein Stück Stadtkulturgeschichte, das es verdient, mal groß herausgestellt zu werden. Hat eigentlich schon mal jemand den oder die Düsseldorfer unter wegwerfgesellschaftlichen Gesichtspunkten analysiert? Da käme man zu erstaunlichen Ergebnissen. Am besten bei einem Ortstermin in der Dämmerung.

Eigentlich darf Sperrgut ja erst am Abend zuvor rausgestellt werden. Aber oft türmt es sich schon tagsüber auf den Bürgersteigen oder lehnt lässig an der Hauswand. Im Laufe des Tages kommt es zur wundersamen Vermehrung. Der Berg wächst. Kaum wird’s dunkel, nähern sich die gewerblichen Sperrmüll-Sammler (das Erkennungszeichen: Fahrrad mit Anhänger), passionierte Fans von Flohmarkt für umsonst, auch Zufalls-Vorbeikommer bleiben stehen. Finstere Gestalten durchwühlen wie wahre Mülltrüffel-Schweine den Wohlstandsmüll, brechen auf, schrauben ab, reißen durch, raffen zusammen und hinterlassen ein Chaos auf den Gehwegen.

Dabei kann man sich sogar strafbar machen. Denn Sperrmüll ist kein herrenloses Gut. Die Verantwortung liegt bis zur Abholung beim Raussteller und geht erst danach auf die Kommune über. Omas zerschlissenes Sofa ist also quasi ein Geschenk an Düsseldorf — wenn es sich nicht schon vorher irgendjemandem auf seinen Anhänger geladen hat. Was komischerweise stillschweigend geduldet wird. Was weg is, is weg — weniger Arbeit für die Awista.

Nun sollte man meinen, dass sich für derartige Beutezüge am ehesten die reichen Stadtteile empfehlen, Ober- und Niederkassel, Angermund oder Wittlaer. Doch mitnichten. Wie heißt es doch: Wir haben es nicht vom Rausstellen, sondern vom Behalten. Oder so ähnlich. Was in den feinen Stadt-Teilchen am schmiedeeisernen Gartentor lehnt, ist aber oft kein echter Sperrmüll, sondern ordinärer Haushaltsmüll in Luxus-Einkaufstüten, geschredderte Aktenberge, die keiner mehr studieren will oder soll, in Säcke gepresste Gartenabfälle, mit denen man sich seinen Geländewagen nicht versauen will.

Anders als Autodiebe, lassen Sperrmüll-Spione diese Viertel links liegen. Sie wissen, wo sie fündig werden. Die schrill-orange-farbenen Sixties-Plastik-Stühle, der kardinalsrote Samt-Zweisitzer, das einst vom Opa selbst gebautes Kasperle-Theater, ein leeres Puppenhaus (praktisches Gewürzregal), die abgeschrammte braune Bugholz-Garderobe (in knallrot wär die witzig), ein alter Schaukelstuhl mit durchgesessenem Sitz, der eine neue Beziehung sucht - solche Sachen findet man eher in Flingern, Eller oder Vennhausen. Auch alte Ölschinken mit bröselgoldigen Gipsrahmen und tanzenden Elfen, dem weinenden Clown, der lüstern lockenden Zigeunerin drauf.

Schönheit findet eben nicht nur im Auge des Betrachters statt, sondern stapelt sich auf der Straße, wo sie neue Liebhaber findet. Und ein neues Zuhause. Zum Beispiel bei Starbucks. Dort lümmeln sich junge Leute gerne in abgewetzten senffarbenen Sesseln, die ihnen vielleicht eine Art großmütterliche Nestwärme vermitteln.

Auch deshalb interpretieren findige Innenarchitekten vergangene Wohnstile neu. Und vieles vom Sperrmüll, aktuell Einrichtungsgegenstände aus den Sixties und Seventies, landet längst in Special Shops für Shabby Chic oder wird in stylischen Mode-Boutiqen so nebenbei verkauft. Kann gut sein, dass sich dabei auch mal herausstellt, dass Oberkasseler viel Geld ausgeben für Sperrmüll aus Oberbilk.

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